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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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kann. Du Schwein, du altes Schwein! Douguan, wo ist deine Pistole?»»
    «Unter dem Bauch des Pferdes»», sagte Vater.
    Großvater sprang auf den Haufen und ließ den alten Mann mit einem einzigen Fußtritt durch die Luft segeln.
    Der fiel auf die Knie und bettelte: «Verschone mich, Kommandant der 8.-Route-Armee, verschone mich!»»
    «Ich bin nicht bei der 8.-Route-Armee», sagte Großvater, «und auch nicht bei der 9. Route. Ich bin Yu Zhan’ao, der Bandit.»
    «Verschone mich, Kommandant Yu, verschone mich. Wem hätte es genützt, wenn der ganze Kram verbrannt wäre? Ich bin nicht der einzige Sammler im Dorf. Diese Diebe haben alles eingesammelt, was wertvoll war. Ich bin zu alt und zu langsam und habe nur den Abfall abbekommen ...»
    Großvater griff nach einem Holztisch und warf ihn dem alten Mann an den kahlen Kopf. Der schrie, wälzte sich auf dem Boden und hielt sich den blutenden Schädel. Dann packte ihn Großvater am Kragen. Er sah ihm gerade in die gequälten Augen und sagte: «Mein Held, der Sammler!» Dann ballte er die Faust und schlug sie dem alten Mann mitten ins Gesicht. Der sank zu Boden, auf den Rücken. Großvater trat ihm so kräftig er konnte ins Gesicht.
     
     
3
     
    Mutter und mein dreijähriger Onkel hatten schon einen ganzen Tag und eine ganze Nacht in dem trockenen Brunnenschacht ausgeharrt. Als Mutter am Morgen davor mit zwei Tontöpfen an der Tragstange über der Schulter zu dem Brunnen gegangen war, hatte sie kaum Zeit gehabt, sich im Wasser ihr Spiegelbild anzusehen, als sie Gongschläge von der Mauer und den Ruf des alten Nachtwächters Wu hörte: «Die Japaner sind da. Das Dorf ist umzingelt.» Vor Schreck ließ sie die Töpfe und die Tragstange in den Brunnen fallen, machte auf dem Absatz kehrt und lief nach Hause. Aber noch ehe sie ankam, traf sie meinen Großvater mütterlicherseits, eine Flinte in der Hand, und meine Großmutter mütterlicherseits, die meinen kleinen Onkel und ein Stoffbündel trug.
    Seit dem Tag, an dem Großvater die Schlacht am Schwarzwasserfluß geschlagen hatte, hatte sich das Dorf auf die Katastrophe vorbereitet, die eines Tages kommen musste. Nur drei oder vier Familien hatten sich versteckt. Die anderen hatten zwar Angst, aber sie wollten ihre verfallenen Häuser, ihre brackigen oder frischen Brunnen, ihre dünnen und zerschlissenen Bettdecken nicht aufgeben. In dieser Woche hatte Großvater, von dem Gedanken besessen, mit Pockennarbe Leng abzurechnen, meinen Vater mit in die Kreisstadt genommen, um Munition zu kaufen. Der Gedanke, das Blutgericht der Japaner könne sein eigenes Dorf treffen, war ihm nie gekommen.
    Am Abend des neunten Tages des achten Monats nach dem alten Kalender rief der Dorfälteste Zhang Ruolo - Ruolo mit dem einen großen und dem einen kleinen Auge, Ruolo mit dem einzigartigen Wesen, Ruolo, der Intellektuelle, der eine Privatschule besucht hatte, Ruolo, der eine so wichtige Rolle bei der Beerdigung der gefallenen Krieger gespielt hatte -, an diesem Abend rief Zhang Ruolo die Dorfbewohner auf, die Mauer zu verstärken und die Tore zu reparieren, und stellte Nachtwächter auf, die beim ersten Anblick feindlicher Truppen das Dorf mit Rufen und Gongschlägen warnen sollten. Alle Dorfbewohner, ob jung oder alt, ob Frau oder Mann, bewachten gemeinsam die Mauer. Mutter hat mir erzählt, die Stimme des Dorfältesten Ruolo sei hart und metallisch gewesen, als er seine Ansprache hielt. «Dorfgenossen»», sagte er, « ein Volk, das sich einig ist, kann den Berg Tai versetzen. Nur wenn wir einig sind, können wir die Japaner von unserem Dorf fernhalten.»
    Noch während er sprach, hörte man aus den Äckern jenseits des Dorfs einen Schuss, und der Kopf des alten Wächters zersprang in der Luft. Er schwankte ein paar Mal hin und her und fiel dann von der Mauer. Die Dorfbewohner rannten in panischem Schrecken davon. Der Dorfälteste Ruolo stand in Hemd und engen Hosen mitten auf der Straße und rief: «Dorfgenossen, beruhigt euch! Bemannt die Mauer wie geplant! Fürchtet den Tod nicht! Wer den Tod fürchtet, wird ihn finden. Wer ihn nicht fürchtet, wird leben. Nur unser Leben steht zwischen den japanischen Teufeln und unserem Dorf.»»
    Mutter sah zu, wie die Männer vornübergebeugt an die Mauer s türmten und sich auf den Bauch warfen. Meiner Großmutter mütterlicherseits zitterten die Knie. Wie angewurzelt stand sie da und konnte die Beine nicht bewegen. «Vater meiner Kinder», rief sie, «was soll aus unseren Kindern werden?» Mein

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