Das Rote Kornfeld
Wasseroberfläche. Ihre rotbraunen Brustfedern warfen kurzlebige Wellenkringel auf, und ihre scherenförmigen Schatten spiegelten sich im Wasser. Schwer lag die reiche dunkle Erde der Gemeinde Nordost-Gaomi unter den Vogelschwingen. Von Westen her strichen warme Winde über das Land, und schmutzige Staubwolken sammelten sich über der Landstraße von Jiao nach Pingdu.
Es sollte auch für Großmutter ein guter Tag werden. Großvater, der als Partner und späterer Nachfolger des Banditen Schwarzauge Mitglied der Eisengesellschaft geworden war, wollte jetzt, nach zwei Jahren, sein Versprechen wahrmachen, ihr ein richtiges Begräbnis auszurichten. Die Nachricht von der bevorstehenden Trauerfeier verbreitete sich seit einem Monat in den Dörfern der Gemeinde Nordost-Gaomi. Man hatte den achten Tag des vierten Monats gewählt. Gegen Mittag des siebten Tages begannen die Menschen aus weit entlegenen Ortschaften mit Kind und Kegel auf Esels- und Ochsenwagen ins Dorf zu ziehen. Am Dorfeingang strömten Händler und Hausierer zusammen. Im Schatten der Bäume bauten Kloßverkäufer ihre Tonöfen auf, Fladenbäcker machten ihre Pfannen heiß, und am Straßenrand wurden die Stände für kalte Nudeln mit ihren weißen Leinwandplanen aufgebaut. Unser Dorf quoll über von Grauhaarigen und Jugendlichen, Männern und Frauen, Jungen und Mädchen.
Im Frühjahr 1941 hatten die Trupps von Zugführer Leng und das Jiao-Gao-Regiment einander in ständigen Scharmützeln erschöpft. Dazu kamen die systematischen Überfälle der Eisengesellschaft meines Großvaters und ein Vernichtungszug der Japaner und ihrer chinesischen Marionettentruppen. Die Gruppe Leng hatte sich anscheinend nach Changyi ins Gebiet des Dreiflussbergs zurückgezogen, um sich auszuruhen und neu zu formieren, und das Jiao-Gao-Regiment verbarg sich in der Gegend der Großen Sumpfberge in Pingdu und leckte seine Wunden. Die Eisengesellschaft war im Verlauf des letzten Jahres unter der Führung Großvaters und seines früheren Rivalen Schwarzauge zu einer Streitkraft von mehr als zweihundert Schützen mit über fünfzig guten Pferden angewachsen. Aber sie war so geheimnisvoll und erinnerte in so vielem an eine religiöse Geheimgesellschaft, dass die Japaner und ihre Marionetten kaum Notiz von ihr nahmen.
Was die Gesamtlage anging, war 1941 das härteste Jahr im Widerstandskampf gegen Japan. Nur die Gemeinde Nordost-Gaomi genoss eine kurze Periode des Friedens und der Ruhe. Die Überlebenden säten über der faulenden Ernte des letzten Jahres neue Hirse ein, und kaum war die Saat im Boden, da fiel leichter und doch reichlicher Regen und wurde von der durstigen Erde aufgesogen. Dann begann die Sonne zu strahlen und den Boden zu wärmen, und als sei es über Nacht geschehen, bedeckten bald zarte Sprosse das Feld. Die messerscharfen Spitzen der jungen roten Pflanzen spießten klare, duftende Tautropfen auf. Der Tag, an dem Großmutter beerdigt werden sollte, war für die Bauern ein Ruhetag vor der Zeit, in der mit Hacke und Schaufel die neue Ernte versorgt werden musste.
Auf der weiten Fläche vor den Dorfmauern, die beim Brand vom i5.August 1939 verwüstet worden war, drängten sich am Abend des siebten Tages die Menschen. Auf der staubigen Landstraße standen aufgereiht die Wagen; die Esel und Ochsen waren an den Bäumen angebunden. Das Fell der Tiere, die ihr schmutziges Winterfell abgelegt hatten, glänzte in der Abendsonne. Junges Laub leuchtete blutrot und warf schwarze Schatten wie alte Münzen auf die Rücken der Rinder.
Als die Sonne sich hinter dem Berg senkte, ritt von Westen her ein Kräuterarzt auf seinem Maultier ins Dorf. Borstige Haare wuchsen wie Schwalbenfedern aus seinen schwarzen Nüstern; Kopf und Stirn waren von einer dunklen Filzkappe bedeckt, die in der Schwüle des Apriltages unangebracht schien, und unter seinen schrägen Augenbrauen brach ein düsterer, starrer Blick hervor. Sobald er das Dorf erreicht hatte, glitt er von seinem abgemagerten Maultier und ging, eine glitzernde Messingglocke in der einen, die Zügel aus grünem Hanf in der anderen Hand, tänzelnden Schrittes zum Dorfplatz. An der glänzenden Haut seines alten Maultiers hafteten noch Flecken vom Winterfell, und mit seinem Muster von schwarzen und weißen Flecken sah es aus, als habe es Lepra. Gelegentlich zog es die herabhängende Unterlippe hoch, die sein purpurfarbenes Zahnfleisch nicht ganz bedeckte. Die tiefen Augenhöhlen waren so groß, dass sie zwei Hühnereier hätten aufnehmen
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