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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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tobte. Die Zeltwände knisterten gefährlich und fielen nach innen zusammen. In Flammen gehüllt, wälzte sich das Maultier am Boden und versuchte, den Brand zu löschen, der sich immer wieder aufs neue entzündete, wenn es weiterrollte. Der Gestank der brennenden Haut war erstickend.
    Ein wilder Sturz ins Freie.
    «Löscht das Feuer!» schrie Schwarzauge. «Löscht doch! Beeilt euch! Fünfzig Millionen Tigerreiter für den, der den Sarg rettet.»
    Die Frühlingsregen hatten erst vor kurzem aufgehört, und das Wasser im Dorfteich stand hoch. Gemeinsam warfen die Soldaten der Eisengesellschaft und die Bauern, die zur Beerdigung gekommen waren, die rotglühende Wolke des Zelts zu Boden und löschten den Brand.
    Grüne Flammenspitzen züngelten um Großmutters Sarg. Aber ein Trupp von Eimerträgern löschte sie bald. Von dem angeschmorten Sarg stieg grüner Rauch auf. Im gedämpften Licht der ersterbenden Flammen sah er so groß und kräftig aus wie nie zuvor. Neben dem Sarg lag die verkrümmte Leiche des Maultiers. Der Gestank seiner verkohlten Haut erfüllte die Luft und zwang die Umstehenden, die Nasen mit dem Ärmel zu bedecken. Sie hörten den Lack auf dem sich abkühlenden Sarg knistern, krachen und springen.
     
     
2
     
    Trotz der unvorhergesehenen Ereignisse des Vorabends wurde Großmutters Beerdigung nicht verschoben. Der alte Pferdeknecht der Eisengesellschaft, der über medizinische Grundkenntnisse verfügte, verband Großvaters Wunde so gut er konnte. Schwarzauge sah mit spöttischem Blick zu und empfahl, die Feier zu verschieben. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, starrte Großvater weiter auf die Wachstropfen an einer roten Kerze und wies den Vorschlag energisch zurück.
    In dieser Nacht tat er kein Auge zu. Reglos saß er auf einer Bank, die blutunterlaufenen Augen halbgeöffnet, die kalte Hand wie angewachsen am Bakelitgriff seiner Pistole.
    Vater lag auf seiner Strohmatte und sah Großvater an, bis er in unruhigen Schlaf sank. Er erwachte vor Tagesanbruch und warf einen verstohlenen Blick auf Großvater, der aufrecht wie ein Denkmal der Unversöhnlichkeit dasaß. Unter dem weißen Verband war dunkles Blut ausgetreten, auf seinem Arm waren Flecken von trockenem Blut zu sehen. Vater wagte kein Wort zu sagen und schloss die Augen wieder. Die fünf Begräbnismusiker, die man aus dem Nachbardorf angeworben hatte, waren am vorigen Nachmittag eingetroffen und gerieten schnell in Streit mit den ortsansässigen Musikern, die ihnen den Auftrag neideten. Der Wettstreit der Hörner und Trompeten riss bald das ganze Dorf aus dem Schlaf. Im Halbschlaf klang ihr Tuten und Blasen für Vaters Ohren wie das grimmige Seufzen eines sehr, sehr alten Mannes. Seine Nase begann zu schmerzen, und aus den Augen tröpfelten brennende Tränen, die ihm ins Ohr liefen. Jetzt bin ich schon sechzehn, dachte er, und weiß nicht, ob diese unruhigen Zeiten je ein Ende nehmen werden. Vom Schlaf benommen, sah er das verschwommene Bild seines Vaters, der mit blutiger Schulter und wachsstarrem Gesicht dasaß, und es überkam ihn ein Gefühl von Verlassenheit, das seinem jugendlichen Alter nicht angemessen war.
    Ein einsamer Hahn verkündete mit schrillem Schrei den anbrechenden Morgen, und die Frühbrise trug den scharfen Geruch des Frühlings von den Feldern ins Zelt und ließ dort die schwachen Flammen über den Kerzenstümpfen flackern. Jetzt konnte man die Stimmen der Frühaufsteher im Dorf vernehmen, und die Reitpferde, die in der Nähe an den Weiden angebunden waren, begannen zu schnauben und mit den Hufen zu schlagen. Als die kühlen Morgenwinde durch die ruhige Frühe wehten, rollte sich Vater bequem auf seinem Lager zusammen. Er dachte an Qian’er, die eines Tages meine Mutter werden sollte, und an die große, kräftige Frau namens Liu, die für mich so etwas wie eine dritte Großmutter war. Sie waren drei Monate zuvor, als Vater und Großvater mit der Eisengesellschaft in ein Übungslager südlich der Gleise gezogen waren, spurlos verschwunden. Als die beiden zurückkamen, waren ihre Hütten leer und die Frauen, die sie liebten, verschwunden. Spinnweben überwucherten die Schuppen, die sie im Winter 39 errichtet hatten.
    Die rote Morgensonne stieg am Himmel auf, und das Dorf füllte sich mit Leben. Imbissstände lockten ihre Kunden an, und die Luft füllte sich mit den aromatischen Düften von gebackenen Klößen, siedenden Wantans und gebratenen Fladen. Ein pockennarbiger Bauer stritt sich mit dem Kloßverkäufer, der kein

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