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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Zug an und jonglierte mit einer mit Glöckchen besetzten Hellebarde, die klingelte, wenn sie sich um seinen Körper drehte und manchmal hoch in die Luft und dann auf die Zuschauer zuflog. Als hielte er sie an einem unsichtbaren Faden, flog sie hoch und flog doch nicht weg, fiel nie zu Boden, wenn er sie fortschleuderte, sondern kehrte immer in seine Hand zurück. Gut die Hälfte der Zuschauer kannte den Bettelmönch vom Tainqi-Tempel, der nie Weihrauch opferte oder den Namen des Buddha anrief, dafür aber große Schalen voll Wein trank und mutig Fleisch und Fisch aß. Er hielt eine dürre, aber ungemein fruchtbare kleine Frau aus, die ihm eine ganze Schar kleiner Mönche geboren hatte. Mit strahlendem Gesicht bahnte er sich seinen Weg durch die Menge, indem er ihr die Hellebarde entgegenschleuderte.
    Dem Mönch folgte ein Soldat der Eisengesellschaft, der an einer langen Stange ein Geisterbanner trug. Es war aus zweiunddreißig weißen Papierstreifen geflochten, ein Streifen für jedes Jahr in Großmutters Leben. Das Banner flatterte und klirrte, obwohl kein Wind wehte. Danach kam ein Ehrenbanner, das ein kräftiger junger Soldat drei Meter hoch in die Luft hielt. Es bestand aus weißer Seide mit silbernen Bändern und war mit dicken schwarzen Zeichen beschrieben: «Sarg der Frau aus dem Hause Dai, zweiunddreißigjährige Ehefrau des Yu Zhan’ao, Partisanenkommandant der Gemeinde Nordost-Gaomi, Republik China.»»
    Auf das Ehrenbanner folgten der kleinere Baldachin, unter dem Großmutters Seelentafel lag, und dahinter der große Baldachin mit ihrem Sarg. Zu den traurigen Klängen der Leichenmusik marschierten vierundsechzig Soldaten der Eisengesellschaft in vollkommenem Gleichschritt. Hinter dem Sarg folgten mehr Fahnen und Girlanden, als man zählen konnte: Totenflaggen in allen Farben, menschliche Figuren und Pferde aus Papier, Schneekiefern und Schneeweiden. Vaters Kopf war mit Sackleinen verhüllt, er trug einen Klagestock aus Weidenholz in der Hand. Zwei Soldaten der Eisengesellschaft mit ausrasierter Stirn trugen ihn auf den Schultern. Seine Klagerufe entsprachen dem trockenen Normaltyp: Sie wurden mit ausdruckslosen, trockenen Augen ausgestoßen. Donner ohne Regen. Trockenes Klagen gilt als herzerweichender als tränenreiche Schreie, und viele Zuschauer waren von seiner Vorstellung zutiefst beeindruckt.
    Großvater und Schwarzauge gingen Schulter an Schulter hinter meinem Vater, und in ihren feierlichen Mienen spiegelten sich die Konflikte wider, die hinter dieser Fassade tobten. Dennoch hätte niemand genau sagen können, was sie dachten.
    Gut zwanzig mit Gewehren bewaffnete Soldaten der Eisengesellschaft umgaben Großvater und Schwarzauge. Ihre Bajonette glänzten dunkelblau im Sonnenlicht. Sie hatten den gespannten Gesichtsausdruck von Soldaten vor dem Angriff. Ihnen wiederum folgten ein Dutzend Musiker aus der Gemeinde Nordost-Gaomi, die wunderbare Weisen spielten, und Stelzengänger, die Gestalten aus Volksmärchen darstellten. Den Schluss bildeten zwei Löwentänzer, die mit den Schwänzen schaukelten und den Kopf schüttelten, während ein Kind mit dickem Kopf Purzelbäume über die ganze Straße schlug.
    Der Leichenzug der Familie Yu wand sich kilometerweit über die Straße und bewegte sich nur mühsam voran, weil so viele Menschen den Weg versperrten. Auch musste er an jedem Zelt am Straßenrand anhalten, um den Geistern Ehre zu erweisen. Wenn der Sarg anhielt, wurde Weihrauch verbrannt, und der Zeremonienmeister vollführte mit dem bronzenen Trinkgefäß in der Hand uralte Rituale. Der Leichenzug bewegte sich im Schneckentempo.
    Der Mönch mit seiner Hellebarde wurde schnell müde. Er stank nach dem Schweiß, der seine gelbe Robe tränkte. Das Klingeln der Hellebarde, die nun nicht mehr hoch oder weit flog, wurde immer schwächer.
    Alle litten physische und psychische Qualen und warteten auf das Ende der harten Arbeit. Die Soldaten der Eisengesellschaft, die die Baldachine trugen, sahen den Zeremonienmeister jedesmal wütend an, wenn er sein Ritual vollführte. Ihre Blicke durchbohrten ihn voll Zorn über seinen anmaßend langsamen und gespreizten Stil und seine vornehm überzogenen Trauergesten. Nichts hätten sie lieber getan, als sich auf ihn zu stürzen und ihm die Fresse einzuschlagen. Am schwersten hatte es Wuluans Reiterkommando. Wie Pingpongbälle jagten sie vom Dorfende zum Begräbnisplatz und zurück. Ihre Pferde kamen ins Keuchen, und dicker schwarzer Staub bedeckte Flanken und

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