Das Rote Kornfeld
seiner gewaltigen Hände winkte er Vater näher heran.
«Uff, uff», grunzte er.
Vater stolperte und blieb einen Schritt vor dem Stummen stehen. Der griff nach ihm, packte ihn am Ärmel und zog ihn auf seinen Schoß. Er kniff Vater so stark ins Ohr, dass der sich einen Aufschrei verkneifen musste. Der Stumme griff nach Vaters Nase und zwickte ihn so stark, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Ein seltsames Lachen entrang sich dem Mund des Stummen.
Die Männer, die herumsaßen, brachen in rauhes Gelächter aus.
«Er sieht Kommandant Yu ähnlich, oder etwa nicht?»
«Sein würdiger Sprössling.»
«Douguan, ich habe Sehnsucht nach deiner Mutter.»
«Douguan, ich möchte an ihren kleinen Datteltörtchen knabbern.»
Vaters Schüchternheit wich wilder Wut. Er zog seine Pistole, zielte auf den Kopf des Mannes, der so gerne Datteltörtchen geknabbert hätte, und drückte ab. Der Hahn schnappte ein, aber kein Schuss löste sich.
Der Mann, sein Gesicht aschfahl, sprang erschreckt auf und riss Vater die Pistole aus der Hand. Immer noch wütend, stürzte sich Vater mit Händen, Füßen und Zähnen auf seinen Gegner.
Der Stumme stand auf, packte Vater am Kragen und schleuderte ihn zur Seite. Vater flog durch die Luft und landete in einem Haufen Hirsehalme. Ein schneller Purzelbaum, und schon war er wieder auf den Füßen. Tobend und fluchend stürzte er sich auf den Stummen, der nur ein paar Grunzlaute ausstieß. Der stahlharte Blick, den er ihm zuwarf, ließ Vater erstarren. Der Stumme hob die Pistole auf, zog den Bolzen zurück und ließ das Geschoß in seine Hand fallen. Er sah sich die Delle an, die die Zündnadel in der Patronenhülse hinterlassen hatte, und gab Vater ein Handzeichen. Dann steckte er ihm die Pistole in den Gürtel und schlug ihm anerkennend auf die Schulter.
«Was hast du da drüben angestellt?» fragte Kommandant Yu.
Vater war peinlich berührt. «Sie . ..sie haben gesagt, sie wollten mit Mama schlafen.»
«Und was hast du gesagt?» fragte Kommandant Yu streng.
Vater wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. «Ich habe auf ihn geschossen.»
«Du hast auf ihn geschossen?»
«Die Pistole ist nicht losgegangen.» Vater überreichte Kommandant Yu den glänzenden Blindgänger.
Kommandant Yu nahm die Patrone, betrachtete sie und warf sie lässig in die Luft. Sie beschrieb einen vollkommenen Bogen, bevor sie in den Fluss fiel.
«Gut gemacht», sagte Kommandant Yu. «Aber benutze deine Pistole erst einmal für die Japaner. Wenn du sie erledigt hast, schieß jedem in den Bauch, der sagt, er wolle mit deiner Mutter schlafen. Nicht in den Kopf, nicht in die Brust, merk dir das : in den Bauch!»
Vater lag neben Kommandant Yu auf dem Bauch. Die Brüder Fang lagen auf der anderen Seite. Die Kanone war mit Zielrichtung auf die Brücke aufgebaut. Der Lauf war mit Baumwollfetzen gestopft, am hinteren Ende hing die Lunte heraus. Fang Sieben hatte ein Bündel trockener Hirsehalme neben sich aufgestapelt; einer davon schwelte bereits. Eine Kürbisflasche voll Pulver und eine Dose Eisenkugeln lagen neben Fang Sechs.
Wang Wenyi hatte sich links von Kommandant Yu zusammengerollt und klammerte sich an seine Vogelflinte. An seinem verwundeten Ohr klebte der weiße Verband.
Die Sonne stand so hoch wie ein Zaunpfahl, ein rosa Ring umgab ihren weißen Kern. Das Wasser im Strom funkelte kristallklar. Ein Schwarm von Wildenten stieg aus dem Hirsefeld auf, umkreiste das Gelände dreimal und ließ sich auf einer grasbewachsenen Sandbank nieder. Einige von ihnen landeten auf der Wasseroberfläche und ließen sich stromabwärts treiben. Ihre Körper ruhten schwer auf dem Wasser, aber unablässig drehten und wendeten sie ihre Köpfe. Vater überkam ein warmes, kitzelndes Gefühl. Seine taufeuchten Kleider begannen zu trocknen. Er schmiegte sich an den Boden und fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust, als liege er auf einem Stein. Als er sich aufrichtete, um nachzusehen, wurden sein Kopf und sein Oberkörper über dem Deich sichtbar. «Runter!» befahl Kommandant Yu. Widerwillig folgte er dem Befehl. Fang Sechs fing an zu schnarchen, Kommandant Yu nahm einen Erdklumpen und warf ihn ihm ins Gesicht. Fang Sechs wachte auf und gähnte so gewaltig, dass zwei kleine Tränen aus seinen schlafverschmierten Augenwinkeln flossen.
«Sind die Japaner da?» fragte er mit lauter Stimme.
«Schnauze!» knurrte Kommandant Yu. «Hier wird nicht geschlafen.»
Über den Flussufern herrschte vollkommene Stille. Die breite
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