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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Landstraße lag schwer und leblos in ihrem Bett von Hirse. Die steinerne Brücke über dem Fluss war von hinreißender Schönheit. In grenzenloser Weite begrüßte die Hirse die Sonne, schüchtern errötend, immer höher emporsteigend, in immer hellerer Röte erstrahlend. Die Wildenten trieben auf dem flachen Wasser am Ufer und suchten mit ihren flachen Schnäbeln quakend nach Futter.
    Vater blickte gebannt auf ihre prächtigen Federn und ihre flinken, aufmerksamen Augen. Er zielte mit dem schweren Browning auf den glatten Rücken einer Ente und wollte gerade abdrücken, als Kommandant Yu ihm die Pistole aus der Hand schlug.
    «Was soll denn das, du kleines Schildkrötenei?»
    Vater wurde nervös. Die Landstraße streckte sich hin wie eine Verkörperung des Todes. Die Hirse hatte sich in tiefes Scharlach gefärbt.
    «Dieser Hund von Leng bildet sich ein, er könne seine Spielchen mit mir treiben», zischte Kommandant Yu wütend. Das Südufer war still, keine Spur von Leng und seinen Leuten. Vater wusste, dass es Leng war, der herausbekommen hatte, wo der Konvoi vorbeikommen musste, und dass er Kommandant Yus Trupp nur zur Hilfe gerufen hatte, weil er nicht glaubte, es allein schaffen zu können.
    Eine Zeitlang war Vater nervös und gereizt, aber allmählich entspannte er sich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Wildenten zu. Er erinnerte sich ans Entenjagen mit Onkel Luohan. Der hatte eine Vogelflinte mit einem tiefroten Kolben und einem Lederriemen gehabt. Jetzt trug Wang Wenyi die Flinte.
    Tränen stiegen ihm in die Augen, aber er unterdrückte sie. Alles war genau wie damals vor einem Jahr. Unter den warmen Strahlen der Sonne überkam ihn eisige Kälte.
    Die Japaner nahmen Onkel Luohan und die beiden Maultiere mit, und Großmutter wusch ihr blutiges Gesicht in dem Schnapsfass, bis es knallrot war und nach Alkohol stank. Ihre Augen waren geschwollen, und die Vorderseite ihrer blassblauen Baumwolljacke war von Hirsebrand und Blut durchnässt. Sie stand stockstill und unbewegt neben dem Fass und starrte auf ihr eigenes Spiegelbild. Vater erinnerte sich daran, wie sie auf die Knie gefallen war und sich dreimal vor dem Fass verneigt hatte. Dann stand sie auf, schöpfte mit den Händen einen Schluck Schnaps und trank. Die ganze Röte ihres Gesichts war in den Wangen konzentriert, aus ihrer Stirn und dem Kinn war alle Farbe gewichen.
    «Knie nieder», befahl sie Vater, «mach Kotau!»
    Er fiel auf die Knie und verneigte sich.
    «Trink!»
    Er schöpfte eine Handvoll und trank.
    Wie rote Fäden sanken Blutspuren zum Boden des Fasses. An der Oberfläche schwamm eine winzige weiße Wolke neben Großmutters und Vaters Gesichtern. Durchdringende Strahlen schossen aus Großmutters Augen. Vater wandte den Blick ab. Sein Herz schlug wie wild. Er streckte die Hände aus und schöpfte noch etwas von dem Hirsebrand. Die Flüssigkeit rann ihm durch die Finger, und die Tropfen zerbrachen ein großes und ein kleines Gesicht unter dem blauen Himmel und der weißen Wolke. Er trank einen Schluck und spürte den klebrigen Geschmack von Blut auf der Zunge. Die Bluttropfen sanken auf den bauchigen Fassboden, wo sie zu einem faustgroßen, trüben Klumpen gerannen. Vater und Großmutter blickten lange mit festem Blick darauf, bevor sie den Deckel wieder auf das Fass legten. Dann ging Großmutter zur Hofecke, rollte einen Mühlstein heran und stemmte ihn mühsam auf den Deckel.
    «Rühr das nicht an!» sagte sie.
    Er blickte auf den angesammelten Schmutz und die graugrünen Kellerasseln, die sich in der Höhlung des Mühlsteins tummelten, und nickte.
    In dieser Nacht lag er schlaflos auf dem gemauerten Bett und lauschte, wie Großmutter im Hof auf und ab ging. Das Trappeln ihrer Schritte und das Rauschen der Hirse drangen in Vaters wirre Träume, in denen er das Wiehern unserer beiden stattlichen schwarzen Maultiere hörte.
    Am Morgen wachte Vater auf und rannte nackt in den Hof, um zu pinkeln. Da stand Großmutter wie angewurzelt und starrte in den Himmel. Er rief «Mutter!» Aber sein Schrei stieß auf taube Ohren. Als er fertig war, nahm er sie bei der Hand und brachte sie ins Haus. Sie folgte ihm wie willenlos. Kaum waren sie im Haus, da hörten sie wirre Geräusche aus Südosten, dann das Knallen einer Gewehrsalve wie das Reißen eines straff gespannten Seidenfadens, den man mit einem Messer durchtrennt.
    Heute lag Vater auf der nackten Erde, aber an jenem Tag hatten die polierten weißen Steinplatten, die Kopfsteine und der grobe

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