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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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gelbe Kies auf der Böschung ausgesehen wie eine Reihe von Grabhügeln. Melancholisch, ernst und reglos stand die Sommerhirse des vergangenen Jahres jenseits der Böschung. Hinter der niedergetrampelten Hirse streckten sich die glänzenden Umrisse der Landstraße schnurstracks nach Norden. Damals gab es die Steinbrücke noch nicht, und die kleine Holzbrücke war vom Vorbeimarsch Zehntausender trampelnder Füße und den Hufeisen der Pferde und Maultiere erschöpft und ausgebeult. Der scharfe Geruch grüner Knospen in der niedergewalzten, gebrochenen Hirse durchdrang den nächtlichen Nebel. Überall weinte die Hirse bitterlich. Kurz nachdem Großmutter und Vater das Gewehrfeuer gehört hatten, trieben japanische Soldaten sie und die anderen - Alte, Kinder, Kranke und Gebrechliche - aus dem Dorf zusammen.
    Die Sonne stand über den Spitzen der Hirse. Vater, Großmutter und die anderen Dorfbewohner standen südlich vom Fluss an der Westkante der Landstraße und zertrampelten die gebrochenen Reste der Hirsepflanzen. Vor ihnen lag ein gewaltiges umzäuntes Gelände, das wie eine Viehweide aussah, und hinter dem Zaun drängte sich eine Schar abgerissener Arbeiter. Zwei chinesische Marionettensoldaten trieben die Arbeiter am Westrand der Landstraße neben Vater und den anderen zu einem zweiten Menschenhaufen zusammen. Die beiden Gruppen blickten auf einen Platz, an dem sonst das Vieh angebunden wurde, einen Platz, dessen Anblick die Menschen später vor Furcht erbleichen ließ. Sie standen eine Zeitlang schweigend dort, bis ein schmalgesichtiger japanischer Offizier mit roten Epauletten und einem langen Degen aus einem der Zelte trat. Mit einer weiß behandschuhten Hand führte er einen Wachhund. Dem Hund hing die rote Zunge schief aus dem Maul. Hinter dem Hund trugen zwei Marionettensoldaten die starre Leiche eines Japaners. Den Schluss des Zuges bildeten zwei japanische Soldaten, zwischen denen zwei chinesische Kollaborateure den blutig geprügelten Onkel Luohan heranzerrten: Vater drängte sich so eng an Großmutter, wie er nur konnte. Sie schloss ihn in die Arme.
    Der japanische Offizier führte seinen Hund an die Stelle, wo das Vieh angebunden war. Vom Schwarzwasserfluß her flog eine Schar von etwa fünfzig weißen Vögeln mit lautem Flügelschlag auf, durchschnitt den blauen Himmel über den Köpfen der Zuschauer und wandte sich dann nach Osten, der goldenen Sonne zu. Vater sah die Zugtiere mit ihrem ungepflegten Fell und den verschmutzten Köpfen und unsere beiden schwarzen Maultiere, die auf dem Boden lagen. Das eine war tot, die Hacke steckte noch schräg in seinem Kopf. Das andere Maultier hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt. Sein blutgetränkter Schwanz fegte über den Boden, die Bauchhaut zuckte geräuschvoll. Die Nüstern schlossen und öffneten sich pfeifend. Wie hatte Vater die beiden schwarzen Maultiere geliebt!
    Großmutter, die stolz auf dem Rücken des Maultiers saß und Vater auf dem Schoß hielt; und dann flogen sie alle drei über den schmalen Lehmweg durch das Hirsefeld, und das Maultier schwankte im Galopp und schleuderte Großmutter und Vater auf und ab. Die dürren Beine des Maultiers besiegen den Straßenstaub. Vater schreit vor Aufregung. Gelegentlich blickt ein Bauer, die Hacke oder sonst ein Gerät in der Hand, unter der Hirse zum hellen gepuderten Gesicht der Brennereibesitzerin auf, und sein Herz ist voll Neid und Abscheu.
    Jetzt lag das eine unserer großen schwarzen Maultiere mit offenem Maul tot auf dem Boden, und seine langen weißen Zähne bissen in die Erde. Das andere saß da und litt schwerer als sein toter Gefährte. «Mama», sagte Vater zu Großmutter, «unsere Maultiere!» Sie hielt ihm mit der Hand den Mund zu.
    Sie legten die Leiche des japanischen Soldaten vor den Offizier mit dem Degen, der immer noch den Hund an der Leine hielt. Dann zerrten die beiden Marionettensoldaten den wundgeprügelten, blutenden Onkel Luohan zu einem hohen Holzgerüst. Zuerst erkannte Vater ihn nicht. Er sah nur eine fremde, blutende Kreatur, die gerade noch Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Als sie ihn zum Gerüst zerrten, drehte er den Kopf nach links und rechts, und das angetrocknete Blut auf seinem Schädel sah aus wie der glänzende Schlamm am Flussufer, wenn ihn die Sonne ausgedörrt hat, bis er Falten wirft und brüchig wird. Seine Füße zeichneten Muster in den Staub. Langsam wich die Menge zurück. Vater spürte, wie Großmutters Hände sich in seine Schultern gruben. Die Menschen

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