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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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niedergemäht. Alte Dämonenanbeter waren darunter, die Schwarzauge seit einem Jahrzehnt folgten, und junge Rekruten, die Großvaters Ruf angezogen hatte. Weder die glänzenden rasierten Köpfe noch in Brunnenwasser eingeweichte rohe Hirse, weder der eiserne Urahn auf seinem Tiger noch Eselshuf, Affenpfote oder Hühnerschädel gewährten ihren Körpern Schutz. Ohne sich darum zu kümmern, pfiffen Maschinengewehrkugeln durch die Luft, zerschmetterten ihnen Rückgrat und Beine, durchbohrten ihre Brust und ihren Bauch. Zerrissene Leichen von Kämpfern der Eisengesellschaft und blutige Leichen von Soldaten des Jiao-Gao-Regiments lagen überall zu Haufen getürmt. Das rote Blut des Jiao-Gao-Regiments und das grüne Blut der Eisengesellschaft vereinten sich zu einer purpurfarbenen Blutpfütze, von der sich die schwarze Erde der Felder und Straßen nährte. Noch Jahre später sollte dies der fruchtbarste Boden in der ganzen Gegend sein. Die Hirse, die hier angepflanzt wurde, wuchs üppig empor und hatte ihren eigenen Charakter. Ihre glänzenden Stängel und Blätter waren Gefäße der Lebenskraft, die den Geschlechtsorganen zeugungsfähiger Tiere glichen.
    Nach der gemeinsamen Niederlage verwandelten sich auf dem Rückzug das Jiao-Gao-Regiment und Großvaters Eisengesellschaft spontan von erbitterten Feinden in Waffenkameraden. Die Lebenden und die Toten gehörten zusammen; die sich im Todeskampf wanden und die vor Schmerz brüllten, gehörten zusammen; Füßchen Jiang, der am Bein verwundet war, und Großvater, der am Arm verwundet war, gehörten zusammen. Als Großvater dalag und seinen Kopf auf Füßchen Jiangs verbundenes Bein legte, fiel ihm auf, dass die Füße gar nicht so klein waren. Dafür stanken sie gewaltig.
    Ratternd eröffneten die Maschinengewehre wieder das Feuer. Die Kugeln bohrten sich in die Straße und in die Hirsefelder und ließen Staubwölkchen aufwirbeln. Der Aufprall der Kugeln auf der Erde wie ihr Aufprall auf menschlichem Fleisch spannten die Nerven der Überlebenden mit der gleichen grausamen Stärke an. Soldaten des Jiao-Gao-Regiments wie der Eisengesellschaft versuchten im Boden zu verschwinden.
    Das Gelände hätte nicht ungünstiger sein können: Nichts als offene Ebene, so weit das Auge sah, nicht ein Grashalm im Blickfeld, und der Kugelhagel, der über ihnen die Luft zerriss, glich einem messerscharfen Schwert. Wer den Kopf hob, war verloren.
    In einer Feuerpause hörte Großvater, wie Füßchen Jiang befahl: «Handgranaten!»
    Wieder bellten die Maschinengewehre. Dann herrschte wieder Schweigen. Die Jiao-Gao-Soldaten, die im Einsatz von Handgranaten gut ausgebildet waren, schleuderten mindestens ein Dutzend Granaten über die Böschung. Auf eine gewaltige Explosion folgte das Jammergeschrei der Helden hinter der Böschung. In graues Tuch gehüllt, flog ein Arm durch die Luft. Großvater sah, dass die Finger noch zuckten. Als müsse er es Füßchen Jiang noch erklären, sagte Großvater: «Es ist Zugführer Leng, der pockennarbige Schweinehund Leng!»
    Die Jiao-Gao-Soldaten warfen eine zweite Runde Handgranaten. Granatsplitter wirbelten durch die Luft, das Wasser im Fluss kräuselte sich, und ein Dutzend Rauchsäulen stieg hinter der Böschung auf. Sieben oder acht furchtlose Jiao-Gao-Soldaten gingen zum Sturmangriff über. Sie hatten die Höhe der Böschung kaum erreicht, als ein Feuerstoß die Toten und Sterbenden gemeinsam den Abhang hinabschleuderte.
    «Zum Rückzug!» schrie Füßchen Jiang.
    Die Jiao-Gao-Soldaten schleuderten noch eine Runde Handgranaten. Unter dem Donnern der Explosion sprangen die Überlebenden unter dem Leichenhaufen vor und machten sich eilig auf die Flucht nach Norden. Sie schossen im Laufen. Füßchen Jiang, dem zwei seiner Leute auf die Beine halfen, folgte seinen fliehenden Truppen.
    Großvater, dem die Gefahren des Rückzugs deutlich vor Augen standen, lag unbeweglich da. Er wollte hier weg, aber dies war nicht der Augenblick. Ein paar Soldaten der Eisengesellschaft schlossen sich dem Rückzug an, und ein Teil der anderen war bereit, ihrem Beispiel zu folgen. «Keine Bewegung...» , sagte er leise.
    Hinter der Böschung erklangen Mündungsfeuer und Schmerzensschreie. Dann hörte Großvater den Befehl einer wohlbekannten Stimme: «Feuer frei! Maschinengewehre, Maschinengewehre!»
    Natürlich war es die Stimme des pockennarbigen Leng, und Großvaters Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln.
    Damals war Großvater gemeinsam mit Vater in die

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