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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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nur!» sagte Großmutter. «Bring mich um! Und bring meinen Sohn gleich mit um!»
    «Papa!» brüllte mein Vater.
    Großvater ließ die Pistole wieder sinken.
    Er dachte an den feurigen roten Nachmittag in der eisvogelgrünen Hirse zurück, und er dachte an das Maultier, das vor dem Fenster steckengeblieben war, und er stellte sich ihren reinen Körper in Schwarzauges Armen vor.
    «Schwarzauge», sagte er, «entscheiden wir es Mann gegen Mann, nur mit den Fäusten. Entweder stirbt der Fisch, oder das Netz reißt. Ich warte am Flussufer vor dem Dorf auf dich.»
    Er steckte die Pistole in den Gürtel und verließ den Ring der verblüfften Soldaten der Eisengesellschaft. Er warf meinem Vater, nicht aber meiner Großmutter, einen Blick zu und stolzierte aus dem Dorf.
    Am nebelverhangenen Ufer des Salzwasserflusses zog Großvater die Baumwolljacke aus, warf die Pistole von sich, zog den Gürtel an und wartete ab. Er wusste, Schwarzauge würde kommen.
    Der Salzwasserfluss war trübe wie reifbeschlagenes Glas, in dem sich Sonnenlicht spiegelt. Kurze, salzige Grashalme standen apathisch am Ufer.
    Schwarzauge kam.
    Großmutter, die Vater im Arm hielt, folgte ihm. Sie wirkte noch immer gelangweilt.
    Am Ende marschierten die Soldaten der Eisengesellschaft.
    «Ein ziviler Kampf oder ein militärischer?» fragte Schwarzauge.
    «Was ist ein ziviler Kampf und was ein militärischer?»
    «Ziviler Kampf bedeutet, du hast drei Schläge, und ich habe drei. In einem militärischen Kampf ist alles erlaubt.»
    Großvater überlegte und sagte dann: «Ziviler Kampf.»
    «Soll ich zuerst zuschlagen», fragte Schwarzauge, der wohlvorbereitet war, «oder willst du den ersten Schlag haben?»
    «Das soll das Schicksal entscheiden. Ziehen wir Strohhalme. Wer den längeren zieht, fängt an.»
    «Wer soll die Strohhalme halten?» fragte Schwarzauge.
    Großmutter setzte Vater auf den Boden und sagte: «Ich mach das.»
    Sie pflückte zwei Halme, verbarg sie hinter dem Rücken und streckte dann die Hände vor. «Zieht!»
    Sie sah Großvater an, und der zog einen Strohhalm. Dann öffnete sie die Hand und zeigte den anderen.
    «Du hast den langen Halm gezogen. Du fängst an», sagte Großmutter.
    Großvater schlug Schwarzauge die Faust in den Bauch. Schwarzauge rülpste.
    Schwarzauge, der den ersten Schlag überstanden hatte, richtete sich mit einem blauen Glänzen in den Augen auf und wartete auf den nächsten.
    Großvater schlug ihm in die Herzgrube.
    Schwarzauge taumelte einen Schritt zurück.
    Seinen letzten Schlag landete Großvater mit aller Kraft auf Schwarzauges Bauchnabel.
    Diesmal taumelte Schwarzauge zwei Schritt zurück. Sein Gesicht war wachsbleich, er legte die Hand aufs Herz und hustete zweimal. Dann spuckte er einen fast geronnenen Blutkloß aus.
    Er wischte sich den Mund ab und nickte Großvater zu, der all seine Stärke auf Brust und Unterleib konzentrierte.
    Schwarzauge schwang seine gewaltige Faust durch die Luft, schlug hart zu und zog die Faust einen Zentimeter vor Großvaters Körper zurück. «Diesen Schlag erlasse ich dir um des Himmels willen», sagte er.
    Er verschenkte auch seinen zweiten Schlag. «Den erlasse ich dir um der Erde willen.»
    Bei Schwarzauges drittem Hieb segelte Großvater kopfüber durch die Luft wie ein Schneeball und schlug plumpsend auf der harten Salzerde auf.
    Großvater kam mühsam wieder auf die Füße und hob seine Jacke und die Pistole auf. Schweißperlen so groß wie Sojabohnen übersäten sein Gesicht. «In zehn Jahren komme ich wieder.»
    Ein braunes Borkenstück trieb im Fluss. Großvater feuerte seine neun Patronen darauf ab und schoss es zu Fetzen. Dann steckte er die Pistole in den Gürtel und machte sich taumelnd auf den Weg in die Salzwüste. Im Sonnenlicht glänzten seine nackten Schultern und sein gebeugter Rücken wie Bronze.
    Schwarzauge sah die zerfetzten Borkenstücke im Fluss an, spuckte einen Mundvoll Blut aus und setzte sich schwer zu Boden.
    Mit Vater im Arm lief Großmutter unsicheren Schritts hinter Großvater her und rief schluchzend seinen Namen: «Zhan’ao!»
     
     
9
     
    Drei Minuten lang bellten Maschinengewehre hinter der Böschung des Schwarzwasserflusses, dann herrschte wieder Ruhe. Scharen von Soldaten des Jiao-Gao-Regiments, die im Hirsefeld zum Angriff vorgestürmt waren, fielen auf der dürren Straße und den ausgedörrten Hirsefeldern. Auf der anderen Straßenseite wurden Großvaters Soldaten der Eisengesellschaft, die sich gerade hatten ergeben wollen, wie Hirse

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