Das Rote Kornfeld
da, als hätte sie auf ihn gewartet.
Auch er hatte das Dorf beim dritten Hahnenschrei verlassen und traf den alten Geng, der mit dem Gewehr über dem Rücken auf die Jagd ging. Sie begrüßten einander und gingen ihrer Wege. Bis die Sonne den Himmel im Osten rot färbte, war der Haufen Hundescheiße in Chengs Korb zu einem kleinen Berg angewachsen. Er stellte den Mistkorb ab, blieb mit der Schaufel in der Hand an der südlichen Dorfmauer stehen und atmete die süße, kühle Morgenluft ein, bis sein Hals zu jucken begann. Dann räusperte er sich laut, erhob seine Stimme unter den rosigen Morgenwolken und begann zu singen: «Wie das durstige Korn am Morgen trinke ich den Tau der Frühe ...»
Ein Schuss ertönte.
Chengs abgewetzter Filzhut erhob sich ohne Flügel in die Luft und flog davon. Er zog den Kopf ein, sprang ruckartig in den Graben unter der Mauer und schlug mit dem Kopf laut auf dem hartgefrorenen Boden auf, ohne einen Schmerz zu verspüren. Dann erst bemerkte er, dass vor seinem Mund ein Haufen zerbrochener Hohlziegel, ein alter Besen und die aschebedeckte Leiche einer Ratte lagen. Er wusste nicht, ob er lebendig oder tot war. Also versuchte er zunächst einmal, die Arme und Beine zu bewegen. Sie funktionierten noch, wenn auch mühsam. Sein Hosenboden fühlte sich klebrig an. Furcht ergriff sein Herz. Ich bin erledigt, es hat mich erwischt, dachte er. Er setzte sich hin und griff in die Hosen. Das Herz schlug ihm im Hals, als er die Hand wieder herauszog. Er erwartete, sie rot von Blut zu sehen. Aber sie war mit einer gelben Masse bedeckt, und seine Nasenflügel zuckten, als sie den fauligen Gestank wahrnahmen. Er versuchte, das Zeug an der Grabenwand abzuwischen, aber dazu war es zu klebrig. Also nahm er den alten Besen und schrubbte die Hand so kräftig wie möglich. Von jenseits des Grabens hörte er eine Stimme: «Aufstehen!»
Er sah nach, wer ihn da anschrie. Es war ein Mann von Mitte Dreißig mit einem Gesicht, das aussah wie mit dem Messer geschnitzt. Seine Haut war gelb, und er hatte ein langes, hängendes Kinn. Er trug eine kastanienfarbene Wollmütze und hielt eine schwarze Pistole in der Hand. Dahinter war ein Wald gelbgekleideter Beine aufgereiht. Um die Schenkel zogen sich breite Stoffgamaschen. Chengs Augen tasteten sich an den Beinen entlang nach oben und trafen auf vorstehende Hüften und Dutzende von fremdartigen Gesichtern, die alle so selig lächelten wie jemand, der gemütlich auf dem Klo sitzt. Säuberlich hing die Flagge mit der aufgehenden Sonne im hellroten Sonnenaufgang, und von den Bajonetten gingen zwiebelgrüne Strahlen aus. Cheng Mazis Magen verkrampfte sich, und seine nervösen Eingeweide knurrten, wanden sich und gaben ihren Inhalt von sich.
«Raus da!» brüllte ihn der Mann mit der Kastanienmütze an.
Cheng band den Gürtel fester, kletterte gekrümmt aus dem Graben und wusste nicht, wohin mit seinen Armen und Beinen. Seine Augäpfel waren aschfahl. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und verbeugte sich nur immer wieder.
Die kastanienfarbige Wollmütze tanzte vor seiner Nase. «Liegen Guomindang-Truppen im Dorf?» fragte sie.
Cheng Mazi starrte ihn verständnislos an.
Ein japanischer Soldat fuchtelte ihm mit dem blutbefleckten Bajonett vor der Brust und dem Gesicht herum. Die kalte Spitze ließ seine Augen und seinen Magen vor Furcht erstarren. Er konnte spüren, wie sein Magen knurrte und seine Eingeweide sich langsam verkrampften. Das erleichternde Gefühl, das der Verdauungsakt mit sich bringt, ließ ihn vor Freude beinahe tanzen. Der japanische Soldat brüllte irgend etwas und bewegte das Bajonett in raschem Schwung abwärts. Die scharfe Klinge schlitzte Chengs gefütterte Jacke auf und ließ die Wattefüllung aus den Rissen quellen. Vom Brustkorb her stieg der scharfe Schmerz aufgerissener Haut und verletzter Muskeln auf. Er rollte sich wie eine Kugel zusammen, und alle Tränen, aller Rotz, aller Urin und aller Kot, den sein Körper enthielt, schien gleichzeitig aus ihm herauszuströmen.
Der japanische Soldat gab eine lange Kette unverständlicher Laute von sich. Cheng sah flehend in das wütende japanische Gesicht und begann zu weinen.
Der mit der Kastanienmütze setzte ihm die Pistolenmündung an die Stirn. «Hör auf zu heulen! Der Kommandant hat dich etwas gefragt. Was ist das für ein Dorf? Ist das die Salzwassermündung?»
Er nickte mit dem Kopf und bemühte sich, nicht zu weinen.
Der Tonfall des Mannes mit der Kastanienmütze wurde etwas milder:
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