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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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«Gibt es hier jemanden, der Strohsandalen herstellt?»
    Er unterdrückte seinen Schmerz und sagte mit bemüht einschmeichelnder Stimme: «Ja, ja, ja.»
    «Hat er gestern seine Strohsandalen auf den Markt in der Stadt gebracht?»
    «Ja, ja, ja.» Warmes Blut lief über die Brust auf seinen Bauch.
    «Und wie steht es mit Gurke?»
    «Ich weiß nicht ... ich glaube schon . ..»
    Kastanienmütze versetzte ihm einen geübten Schlag auf den Mund und schrie ihn an: «Sag’s mir! Ich will alles über Gurke wissen.»
    «Ja, ja, ja», murmelte er diensteifrig, «Herr Kommandant. Alle Familien legen saure Gurken ein, die gibt es in jedem Gurkenfass im Dorf.»
    «Benimm dich nicht wie ein gottverdammter Idiot! Ich habe dich gefragt, ob es jemanden gibt, der Gurke heißt.» Immer wieder schlug ihm Kastanienmütze ins Gesicht und brummte wütend : «Werd mir bloß nicht frech ! Ich habe dich gefragt, ob du jemanden kennst, der Gurke heißt.»
    «Ja ... nein ... j a... nein ... Euer Ehren ... nicht schlagen ... bitte nicht schlagen ... Euer Ehren», murmelte er vor sich hin und taumelte von den Schlägen.
    Der Japaner sagte etwas. Kastanienmütze nahm seine Kastanienmütze ab und verbeugte sich vor dem Japaner. Dann drehte er sich wieder um, und das Lächeln in seinem Gesicht verschwand schlagartig. Er versetzte Cheng Mazi einen Stoß und sagte mit finsterer Miene: «Führ uns ins Dorf. Ich will alle Sandalenmacher sehen.»»
    Um den Mistkorb besorgt, den er an der Mauer hatte stehenlassen, drehte Cheng instinktiv den Kopf in die Richtung. Ein schneeglitzerndes Bajonett flitzte an seiner Backe vorbei. Schnell kam er zu dem Schluss, dass sein Leben mehr wert war als ein Mistkorb und eine Schaufel, also drehte er den Kopf wieder zurück und schlug auf seinen krummen Beinen den Weg ins Dorf ein. Die Japaner folgten ihm. Ihre hohen Lederstiefel knirschten auf dem reifbedeckten toten Gras. Ein paar graue Hunde, die in einer Mauerecke lagen, bellten zaghaft. Der Himmel wurde heller, und die halb sichtbare Sonne am Horizont lag drückend über der braunen Erde. Säuglingsgeschrei verlieh dem Schrecken Ausdruck, der unter der Stille begraben lag. Der gleichmäßige Marschtritt der Japaner klang wie rhythmischer Trommelschlag, der seine Ohren betäubte und seine Brust schmerzen ließ. Die Bajonettwunde in seiner Brust brannte. Die Scheiße in seinen Hosen war kalt und klebrig.
    Diesmal hat es mich richtig erwischt, dachte er. Niemand außer mir ist losgegangen, um Hundescheiße zu sammeln, niemand außer mir, und ich habe vielleicht ein beschissenes Glück! Die Tatsache, dass die Japaner seinen Gehorsam und seine Bürgertugend nicht zu schätzen wussten, war frustrierend. Er führte sie schnell zu den Häusern der Sandalenmacher. Wer immer Gurke auch sein mochte, es würde ihm schlecht ergehen. Er warf einen Blick in die Ferne auf sein Haus, auf das weiße Gras, das auf dem vom Sommerregen leckgeschlagenen Dach wuchs. Aus dem einsamen Schornstein über der Küche stieg grüner Rauch auf.
    Er hatte noch nie so großes Heimweh gehabt. Wenn alles vorbei war, wollte er nach Hause gehen, saubere Hosen anziehen und seine Frau Kalk in die Wunde auf seiner Brust reiben lassen, die inzwischen aufgehört hatte zu bluten. Vor seinen Augen tanzten grüne Sternenhaufen, seine Beine fühlten sich an wie Gummi, und Wellen von Ekel schlugen aus dem Magen in die Kehle. Der größte Flötenspieler der Gemeinde Nordost-Gaomi hatte noch nie so tief in der Scheiße gesteckt. Er ging wie auf Nebel, gefrorene Tränen füllten seine Augenhöhlen. Oh, wie sehnte er sich nach seiner schönen Frau, die sich früher über sein narbiges Gesicht beklagt hatte und dann zu der Einsicht gekommen war, dass man wie eine Henne lebt, wenn man einen Hahn heiratet, aber wie eine Hündin, wenn man einen Hund nimmt.
     
     
4
     
    Frühmorgens weckte ein Gewehrschuss vor dem Dorf Zweite Großmutter aus einem Traum, in dem sie verbissen mit der Ersten Großmutter kämpfte. Mit klopfendem Herzen setzte sie sich auf und konnte beim besten Willen nicht entscheiden, ob außerhalb des Dorfes etwas passierte oder ob alles zu ihrem Traum gehörte. Blasses Morgenlicht überzog das Fenster, auf das der Rauhreif groteske handgroße Muster zeichnete. Ihre Schultern fühlten sich kalt an. Sie neigte den Kopf, so dass sie ihre Tochter, meine Tante, sehen konnte, die friedlich schnarchend neben ihr lag. Der süße gleichmäßige Atem der Fünfjährigen beruhigte Zweite Großmutter. Vielleicht

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