Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
kleine Jacke zu wärmen, die ihr schwer in den Händen lag. Das entflammte Stroh knisterte wie eine Gewehrsalve. Die kleine Jacke flatterte wie eine schwere, zerfetzte Fahne über den tanzenden Flammen, die ihre Hände wie Dolche von Eis versengten. Das Stroh verbrannte so schnell, wie es aufgeflammt war. Ein Strohhalm nach dem anderen verwandelte sich in eine aschfarbene Kopie seiner ursprünglichen Gestalt. Die Flammen vollführten eine letzten Totentanz und schickten eine bläuliche Rauchfeder zu den Dachbalken auf, von wo kleine Rauchwirbel durch das Zimmer trieben.
    Die lauten Atemzüge meiner kleinen Tante im hinteren Zimmer weckten Zweite Großmutter, die immer noch die Jacke in der Hand hielt, aus ihrer Erstarrung. Sie trug die dampfende kleine Jacke ins Hinterzimmer, wo meine kleine Tante aufrecht im Bett saß. Der tiefe Purpur der Bettdecke hob sich scharf von ihrer zarten weißen Kinderhaut ab. Zweite Großmutter legte die Jackenärmel um die schwachen schmalen Schultern des Mädchens. Meine kleine Tante zappelte nicht und leistete keinen Widerstand, wie sie es sonst tat, sondern ließ sich ruhig anziehen. Die ersten Granatexplosionen erschütterten das Dorf.
    Sie schienen aus den Tiefen der Erde aufzusteigen. Schwere grollende Geräusche ließen die Papierfenster rascheln und jagten hungrige Spatzen mit lautem Flügelschlag in die Luft. Kaum war das Geräusch verstummt, da erschütterte schon die nächste Salve das Dorf. Schreie und heisere Schreckensrufe ertönten und klangen wie lautes Gurgeln. Zweite Großmutter hob meine kleine Tante auf und zog sie eng an sich. Mutter und Tochter zitterten wie eine Person.
    Die Schreie verstummten, und über dem Dorf breitete sich eine Stille tödlichen Schreckens aus, die nur der dumpfe Tritt marschierender Füße, das gelegentliche Bellen eines Hundes und vereinzelte Gewehrschüsse durchbrachen. Doch das änderte sich schnell, als zwei neue Explosionen krachten und das ganze Dorf erschütterten. Die Dorfbewohner schrien wie Schweine, die zum Schlachtplatz geführt werden. Wie ein Fluss, der die Deiche sprengt, brach das Dorf, das unter dem monotonen Grollen gezittert hatte, dann plötzlich in eine wilde Kakophonie aus : schrille Frauenschreie, Kindergeheul, das laute Gackern der Hühner, die in die Baumkronen flogen, wiehernde Maultiere, die am Zaumzeug zerrten.
    Zweite Großmutter schob den Riegel vor die Haustür und klemmte von innen zwei Stangen dagegen. Dann kletterte sie auf die gemauerte Bettstelle und kauerte sich, auf das nahende Unheil wartend, gegen die Wand. Sie sehnte sich verzweifelt nach Großvater, und zugleich hasste sie ihn. Wenn er morgen kam, wollte sie sich gründlich ausweinen und ihn wütend beschimpfen. Brennendheißer Sonnenschein erleuchtete die kleine Glasscheibe im Fenster. Der Reif der Nacht war geschmolzen und floss am unteren Rand der Scheibe in zwei kristallklaren Tropfen zusammen. Über dem Dorf lagen hagelnde Gewehrschüsse und Frauenschreie, die aus allen Himmelsrichtungen kamen. Zweite Großmutter wusste nur zu gut, warum sie schrien. Auch sie hatte gehört, dass die japanischen Soldaten wilden Tieren glichen, die nicht einmal eine siebzigjährige Frau aus ihren Klauen ließen.
    Der Geruch von Rauch und Feuer drang ins Zimmer. Sie hörte das Knistern von Flammen und gelegentliche Schreie. Als sie ein lautes Poltern am Tor und wilde unverständliche Geräusche hörte, die nur Japanisch sein konnten, erstarrte sie vor Angst. Meine kleine Tante riss die Augen weit auf, dann begann sie zu weinen. Zweite Großmutter hielt ihr die Hand vor den Mund. Das Tor stöhnte und quietschte. Zweite Großmutter sprang vom Bett, rannte zum Ofen, schaufelte zwei Hände voll Asche heraus und schmierte sie sich ins Gesicht. Dann beschmierte sie auch das Gesicht meiner kleinen Tante. Die Tür stand kurz vor dem Zerbrechen, und ihre Augen rollten wild und unkontrolliert in den Augenhöhlen. Es hieß, dass sie auch eine alte Frau nicht in Ruhe ließen, aber einer Schwangeren würden sie doch wohl nichts tun? Ein Einfall schoss ihr durch den Kopf. Sie nahm ein Stoffbündel vom Bett, band ihren Gürtel los, stopfte sich das Bündel in die Hosen und band den Gürtel mit einem doppelten Knoten wieder zu. Dann zog sie die Hosen eng um das Bündel, um es so glatt wie möglich anliegen zu lassen, damit die Japaner die Nähte nicht entdecken konnten. Meine kleine Tante presste sich an die Wand und beobachtete die seltsamen Handlungen ihrer Mutter.
    Splitternd

Weitere Kostenlose Bücher