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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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die Hand an der Pistole im Gürtel und das Lächeln eines Siegers im Gesicht, vor ihm. Der Stumme blickte auf und grinste über das ganze Gesicht. Einer der schlafenden Soldaten schnarchte laut. Die anderen, soweit sie noch wach waren, lagen faul herum. Keiner sprach Vater an. Der sprang auf die Straße, die erschöpft in der Sonne lag. Der gelbe Belag war von weißen Flecken durchbrochen.
    Vater war überzeugt, dass die vier aneinandergeschnürten Rechen, die mit nach oben gerichteten Zähnen die Straße versperrten, am Ende ihrer Geduld angekommen sein mussten. Die Steinbrücke über dem Fluss sah aus wie ein Kranker, der gerade beginnt zu gesunden. Er setzte sich an die Böschung und blickte nach Osten, dann nach Westen, dann auf den Fluss unter ihm und schließlich auf ein paar Wildenten. Der Fluss mit seinem Reichtum an lebendigen Pflanzen und kleinen geheimnisvollen Schaumkronen war schön. Er entdeckte Haufen von sonnengebleichten Maultier- und Pferdeknochen im dichten Ufergras. Der Anblick erinnerte ihn an unsere zwei schwarzen Maultiere.
    Im Frühling hüpfen Scharen von Kaninchen über die Felder. Großmutter reitet, das Gewehr in der Hand, auf einem der Maultiere und jagt Kaninchen. Vater sitzt hinter ihr und hat den Arm um ihre Taille geschlungen. Vom Maultier aufgeschreckt, sind die Kaninchen leichte Beute für Großmutters Schüsse. Jedes Mal wenn sie nach Hause kommt, umrankt ein Kranz von Kaninchen den Hals des Maultiers. Einmal, als sie Wildkaninchen aß, blieb eine Schrotkugel zwischen Großmutters Backenzähnen stecken und war nicht mehr herauszubekommen.
    Vater sah einer Kolonne von dunkelroten Ameisen zu, die Schlammkügelchen über die Böschung transportierten. Er legte ihnen einen Erdklumpen in den Weg, aber statt einen Umweg um ihn zu machen, kletterten sie angestrengt darüber weg. Er hob ihn hoch und warf ihn in den Fluss, in dem er lautlos versank. In der Mittagshitze trug die Luft den Geruch von Fisch herbei. Helle Lichtstrahlen glitzerten überall, als würde die Erde kochen. Vater schien es, als sei der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde von rotem Hirsestaub und vom Duft nach Hirsebrand erfüllt. Er streckte sich auf der Böschung aus, und in diesem Augenblick sprang ihm das Herz in die Kehle. Später sah er ein, dass Geduld immer belohnt wird und dass die Folgen seines Wartens gewöhnlich, normal, unbedeutend und natürlich waren. Denn er hatte vier seltsame käferähnliche Gegenstände entdeckt, die geräuschlos auf der Straße durch das Hirsefeld auf ihn zukrochen.
    «Lastwagen», murmelte er unsicher. Niemand hörte auf ihn.
    «Japanische Lastwagen!» Erschreckt sprang er auf und starrte auf die Lastwagen, die wie Meteore auf ihn zustürmten. Lange, dunkle Rauchfahnen folgten ihnen, flimmernde, schwankende Lichtstrahlen eilten ihnen voraus.
    «Da kommen die Lastwagen!» Seine Worte glichen einem Schwert, das die Mannschaft mit einem Streich enthauptet. Dumpfes Schweigen breitete sich über dem Hirsefeld aus.
    «Männer»», donnerte Kommandant Yu freudig, «endlich sind sie da. Macht euch bereit! Schießt nicht, bevor ich es befehle!»
    Am westlichen Straßenrand sprang der Stumme auf und schlug sich gegen die Hüfte. Dutzende von Guerillakämpfern kauerten, die Waffe im Anschlag, am Abhang.
    Sie konnten das Dröhnen der Motoren hören. Vater lag neben Kommandant Yu und umklammerte den schweren Browning so fest, dass sein Handgelenk zu jucken begann und die Handfläche von Schweiß klebte. Das Fleisch zwischen Zeigefinger und Daumen fing an zu jucken und sich zu verkrampfen. Erstaunt sah er zu, wie das mandelförmige Fleischstück rhythmisch pulsierte, wie ein Küken, das die Eischale durchbricht. Er wollte an sich halten, aber dabei verkrampfte er sich so, dass sein ganzer Arm zu zittern begann. Kommandant Yu legte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken, und das Zucken ließ augenblicklich nach. Vater griff mit der Linken nach dem Browning, aber die Muskeln der rechten Hand waren so verkrampft, dass es ihm wie eine Ewigkeit vorkam, bis er die Finger ausstrecken konnte.
    Die schnell herannahenden Lastwagen wurden immer größer, und die beiden pferdehufgroßen Augen auf ihrer Vorderseite durchbohrten die Luft mit weißen Strahlen. Das Donnern der Motoren klang wie der Sturm vor einem Regenguss und trug zugleich die Spuren einer fremdartigen bedrückenden Erregung mit sich. Vater, der noch nie einen Lastwagen gesehen hatte, nahm an, diese seltsamen Geschöpfe ernährten sich von

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