Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
verstreut.
    Erst stürzte Großmutter zu Boden, dann spritzte eine Mischung von roter und gelber Flüssigkeit aus dem eckigen Schädel von Wang Wenyis Frau bis hinüber zu den Hirsehalmen neben der Böschung. Vater sah, wie die winzige Frau zurückstolperte, als die Kugel sie traf, und dann über den Südhang der Böschung ins Wasser rollte. Die Mungobohnensuppe strömte aus den Eimern auf die Erde wie das Blut der Helden. Der erste Blecheimer verschwand klappernd über die Böschung in den Schwarzwasserfluß und tauchte dann auf den Wellen tanzend wieder auf. Er schwamm an dem Stummen vorbei, schlug ein- oder zweimal gegen einen steinernen Brückenpfeiler, wurde von der Strömung mitgerissen und schwamm an Kommandant Yu, an meinem Vater, an Wang Wenyi, an Fang Sechs und Fang Sieben vorbei.
    «Mama !» schrie Vater, als reiße man ihm die Eingeweide aus dem Leib. Er sprang auf die Böschung. Kommandant Yu versuchte ihn festzuhalten, aber es war zu spät. « Hierher !» brüllte er. Vater hörte den Befehl nicht, er hörte überhaupt nichts mehr. Sein hagerer kleiner Körper flog im Sonnenlicht glänzend über den schmalen Grat der Böschung. Er warf den Browning weg, der unter den goldenen Blättern einer Bitterkrautstaude landete. Er rannte wie der Wind, die Arme vor sich ausgestreckt wie die Schwingen eines Vogels, er rannte gerade auf Großmutter zu. Die Böschung war ruhig, aber der Staub tanzte hörbar, das glitzernde Wasser darunter hörte auf zu fließen. Die Hirse jenseits der Böschung stand still und feierlich. Vaters hagere Gestalt rannte noch immer die Böschung entlang. Vater war ein Riese, Vater war großartig. Vater war wunderbar. Er schrie mit aller Kraft seiner Lungen:« Mama ... Mama ... Mama!» Das eine Wort, das er noch hatte, war in Menschenblut und Tränen, in Liebe zur Familie und große Anliegen getränkt. Als er das Ende der östlichen Böschung erreicht hatte, sprang er über die Straßensperre aus Rechen und kletterte die westliche Böschung hoch. Unter der Böschung huschte das versteinerte Gesicht des Stummen an ihm vorüber.
    Vater warf sich über Großmutter und rief erneut «Mama ..,» Sie lag im wilden Gras, das Gesicht nach unten. Der Duft von Hirsebrand drang aus den beiden Wunden in ihrem Rücken. Vater griff nach ihren Schultern und rollte sie auf den Rücken. Ihr Gesicht war unverletzt und sah aus wie immer. Kein Haar war verrutscht. Die Ponyfransen bedeckten ordentlich ihre Stirn, und ihre Augenbrauen waren gesenkt. Die Augen waren halb geöffnet, die Lippen in ihrem blassen Gesicht waren leuchtend rot. Vater griff nach ihrer warmen Hand und rief noch einmal: «Mama.» Großmutter öffnete die Augen weit, und ein unfassbar unschuldiges Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. Sie streckte ihm die Hand entgegen.
    Die Motoren der japanischen Lastwagen, die am Brückenkopf hielten, heulten in unregelmäßigen Abständen auf.
    Eine hochgewachsene Figur tauchte kurz auf der Böschung auf und zog Vater und Großmutter mit sich herunter. Das war das Verdienst des Stummen. Bevor Vater wusste, wie ihm geschah, köpfte und zerschmetterte eine neue Salve unzählige Hirsepflanzen.
    Die vier Lastwagen schlossen genau jenseits der Brücke eng auf und blieben dann stehen. Acht auf dem ersten und dem letzten Wagen montierte Maschinengewehre versprühten so viele Kugeln, dass die Geschoßspuren harte, trockene Lichtbänder bildeten, die sich wie die Flügel eines zerbrochenen Fächers mal am östlichen, mal am westlichen Wegrand kreuzten. Die Hirsepflanzen heulten auf, ihre gebrochenen, verwundeten Zweige hingen matt herab oder bäumten sich wild auf. Kugeln, die die Böschung trafen, ließen gelbe Staubwolken aufsteigen und verursachten ein Geräusch wie gedämpfter Trommelwirbel.
    Die Soldaten an den entfernteren Hängen warfen sich flach in das wilde Gras und auf die schwarze Erde und blieben regungslos liegen. Die Maschinengewehre mähten etwa drei Minuten im Dauerfeuer über die ganze Gegend, dann stellten sie das Feuer so abrupt ein, wie es begonnen hatte. Der Boden rund um die Lastwagen war mit den goldenen Funken leerer Patronenhülsen übersät.
    «Nicht feuern!» sagte Kommandant Yu leise.
    Die Japaner standen still. Dünne Rauchwolken des Mündungsfeuers schwebten über dem Fluss und trieben in leisen Luftströmen nach Osten.
    Vater hat mir erzählt, dass Wang Wenyi in diesem Augenblick absoluter Stille auf den Grat der Böschung taumelte. Dort blieb er, das Jagdgewehr in der

Weitere Kostenlose Bücher