Das Rote Kornfeld
alkalischen Ablagerungen aus einem alten Nachttopf zu ersetzen. So gestalteten sie das Herstellungsverfahren einfacher, effizienter und leichter kontrollierbar. Das Geheimnis kannte niemand außer Großmutter, Großvater und Onkel Luohan. Soviel ich weiß, fand der Mischprozess in tiefster Nacht statt, wenn alles schlief. Großmutter zündete im Hof eine Kerze an, verbrannte dreihundert Scheine Opfergeld und schüttete dann die vorbereitete Essenz aus einer schmalhalsigen Kalebasse in die Branntweinfässer. Sie nahm dabei eine würdevolle Haltung an und setzte eine geheimnisvolle Miene auf, so dass jeder, der sie beobachtete, hätte annehmen müssen, sie riefe Geister aus einer anderen Welt an, dem Familiengeschäft ihren Segen zu geben. Seit dieser Entdeckung begann unser Hirsebrand, die Produkte unserer Rivalen vom Markt zu verdrängen und so etwas wie eine Monopolstellung zu erobern.
2
Großmutter kehrte in ihr Elternhaus zurück, wo sie nach altem Brauch drei Tage verbringen sollte, bevor sie ihr neues Heim bezog. In diesen Tagen hatte sie keinen Appetit und war ganz in Gedanken versunken. Urgroßmutter kochte all ihre Lieblingsgerichte und versuchte, sie zum Essen zu überreden, aber sie rümpfte bei allem die Nase und schlich wie eine lebende Leiche durchs Haus. Doch obwohl sie kaum Nahrung berührte, litt ihr Aussehen nicht darunter. Ihre Haut blieb zart wie Milch, ihre Wangen rosig, und ihre schwarzen Augen in den dunklen Augenhöhlen sahen wie strahlende kleine Monde im Nebel aus. «Kleiner Fratz», nörgelte Urgroßmutter, «hast du dich in einen Buddha oder einen Unsterblichen verwandelt, der weder Speise noch Trank braucht? Du wirst deine Mutter noch in den Tod treiben.»» Sie sah Großmutter an, die so ruhig und gefasst dasaß wie Guanyin, die Göttin der Barmherzigkeit. Zwei winzige weiße Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln. Großmutters zusammengekniffenen Augen entschlüpfte ein Blick verwunderter Neugier, der ihre Mutter traf, als beobachte jemand vom Flussufer aus einen alten schwarzen Fisch, der sich im Uferschlamm suhlt.
Am zweiten Tag nach Großmutters Heimkehr erwachte Urgroßvater endlich aus seinem betäubten Rausch und erinnerte sich sofort an das große schwarze Maultier, das ihm Shan Tingxiu versprochen hatte. In seinen Ohren klang das rhythmische Hufklappern, mit dem sein Maultier über die Straße galoppierte. Was für ein Maultier : bezaubernde schwarze Augen wie kleine Laternen, Hufe wie kleine Kristallbecher! «Du Esel», sagte Urgroßmutter, «unsere Tochter isst nicht. Was sollen wir tun?»»
Urgroßvater warf ihr aus einem versoffenen Augenwinkel einen Blick zu und sagte: «Sie ist verwöhnt wie eine Prinzessin. Für wen hält sie sich eigentlich?»
Er ging zu Großmutter und fuhr sie an: «Kleine Sklavin, was soll das? Menschen, deren Schicksal es ist, zu heiraten, sind durch einen unsichtbaren Faden miteinander verbunden, egal, wie weit sie voneinander entfernt sind. Wenn du einen Hahn heiratest, wirst du eine Henne, wenn du einen Hund heiratest, wirst du eine Hündin. Dein Vater ist kein Fürst oder Graf, und du bist kein goldener Zweig und kein Blatt aus Jade. Du hast Glück gehabt, einen so reichen Mann zu finden, und dein Vater hat auch Glück gehabt. Als allererstes hat dein Schwiegervater mir ein schönes schwarzes Maultier versprochen. Daran erkennt man die gute Familie!»
Großmutter saß reglos und mit geschlossenen Augen da. Eine Honigschicht schien ihre feuchten Wimpern zu bedecken, die aneinanderklebten und sich wie Schmetterlingsfühler nach oben bogen. Mit wachsender Wut starrte Urgroßvater sie an. «Spiel nicht die Taubstumme, du da mit den geschwungenen Wimpern. Wenn du willst, dann stirb eben, aber dein Geist wird der Familie Shan angehören. Auf dem Friedhof der Familie Dai gibt es keinen Platz für dich.»
Großmutter lachte nur.
Urgroßvater gab ihr eine Ohrfeige.
Zischend verschwand die Rosenfarbe aus Großmutters Wangen, die leichenblass wurden. Allmählich kehrte Farbe in das bleiche Gesicht zurück, das nun so rot wurde wie die Morgensonne. Ihre Augen leuchteten, sie knirschte mit den Zähnen und grinste ihren Vater hasserfüllt an:
«Ich fürchte nur, du wirst nie ein Haar von deinem Maultier sehen.»
Sie senkte den Kopf, griff nach den Essstäbchen und stopfte sich das dampfende Essen in den Mund, wie ein Sturmwind den Schnee aufwirbelt. Als sie fertig war, warf sie die Essschale hoch in die Luft. Das trübe graue Licht
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