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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Urgroßvater war, erwachte aus seinem trunkenen Schlaf und stammelte mit schwerer Zunge: «He, Tochter . ..ja, du da ... wie lange brauchst du eigentlich zum Pissen? ... Dein Schwiegervater ... ein großes, schwarzes Maultier ...»
    Ohne sich um sein unzusammenhängendes Lallen zu kümmern, warf sie ein Bein über den Rücken des Esels und wandte im warmen Frühlingswind das Gesicht zum Feld südlich der Straße. Sie wusste, dass der junge Sänftenträger ihr nachsah. Noch kämpfte sie gegen ihre neuerwachte Leidenschaft an, aber zugleich sah sie verschwommen eine neue, unbekannte Straße vor sich, deren Wegränder mit rubinroter Hirse bewachsen waren, deren Gräben voll waren von kristallklarem Hirsebrand und die sich mit unbekanntem Ziel vor ihr erstreckte. Die breitblättrigen Hirsepflanzen am Straßenrand verbargen ihre Weisheit unter der Maske des Stumpfsinns; die rote Hirse ihres Traums verschmolz mit den wirklichen Pflanzen auf den Feldern; Realität und Illusion wurden ununterscheidbar. Klare und doch verschwommene, phantastische und doch fest gegründete Gefühle begleiteten die Reiterin auf ihrem Weg.
    An eine Hirsestaude gelehnt, folgte Yu Zhan’ao ihr mit den Augen, bis sie hinter der Straßenbiegung verschwand. Von plötzlicher Müdigkeit übermannt, bahnte er sich mühsam seinen Weg durch die Hirse und kehrte zum heiligen Altar ihrer Liebe zurück. Dort fiel er zu Boden wie eine einstürzende Mauer und versank in tiefen Schlaf. Erst als die rote Sonne im Westen verschwand, öffneten sich seine Augen, und das erste, was er sah, waren Hirseblätter, Hirsehalme und Hirserispen, die ihren dichten, purpurfarbenen Baldachin über ihm ausbreiteten. Den Regenmantel über die Schulter gebreitet, verließ er das Feld. Eine frische Brise ließ die Hirse rauschen. Er wickelte den Mantel um den Körper, um sich vor der Kälte zu schützen, und als seine Hand seinen Magen berührte, merkte er, wie hungrig er war. Vage erinnerte er sich an die drei Hütten am Eingang des Dorfes, in das er vor drei Tagen die Frau getragen hatte, und an die zerfledderte Kneipenflagge, die im Regen wehte und flatterte. So hungrig, dass er weder still sitzen noch aufrecht stehen konnte, machte er sich auf den Weg vom Hirsefeld zur Kneipe. Er stand noch keine zwei Jahre in den Diensten der Hochzeits- und Beerdigungsgesellschaft der Gemeinde Nordost-Gaomi, und so würde ihn hier niemand kennen. Wenn er erst einmal gegessen und getrunken hatte, würde er einen Weg finden, das zu tun, was getan werden musste, um dann im Hirsefeld unterzutauchen wie ein Fisch im Meer.
    Er wandte sich, die Strahlen der untergehenden Sonne im Gesicht, nach Westen, wo giftfarbene Abendwolken die Sonnenscheibe in eine rotblühende Pfingstrose mit furchteinflößend goldenem Rand verwandelten. Nachdem er ein Stück nach Westen gegangen war, wandte er sich nach Norden, in Richtung des Dorfes, wo Großmutters Ehemann Shan Bianlang wohnte. Die Felder waren verlassen und leer. In jener Zeit verließ jeder, der zu Hause noch etwas zu essen hatte, den Acker, bevor es zu dunkel wurde, und die Hirsefelder dienten den Banditen als Schlupfloch. An diesem Tag hatte Yu Zhan’ao Glück und traf auf keinen der räuberischen Helden der Landstraße.
    Als er ankam, rauchten im Dorf die Kamine, und ein gutaussehender junger Mann, der zwei Krüge mit frischem Brunnenwasser an einer Tragstange über der Schulter trug, ging über die Dorfstraße. Ein wenig Wasser spritzte über den Rand des Kruges. Yu Zhan’ao eilte zur Tür unter der zerfledderten Kneipenflagge. Die Hütte war innen nicht durch Wände unterteilt, nur eine Theke aus Lehmziegeln durchschnitt den Raum. Der innere Bereich war mit einem gemauerten Bett, einem Ofen und einem großen Fass möbliert. Die Ausstattung des äußeren Teils bestand aus zwei wackeligen, zerkratzten Tischen und ein paar verstreut umherstehenden Bänken. Ein glasierter Schnapskrug, an dessen Rand der Schöpflöffel hing, stand auf der Theke. Ein fetter alter Mann lag auf dem Bett. Yu Zhan’ao erkannte den Hundemetzger, der in der Gegend «der Koreaner» genannt wurde. Er hatte ihn einmal auf dem Markt im Dörfchen Ma gesehen. Der Mann konnte in weniger als einer Minute einen Hund schlachten, und die Hunderte von Hunden, die auf dem Markt von Ma zu Hause waren, knurrten wütend, wenn sie ihn sahen, und ihr Fell sträubte sich. Aber sie hielten sich ängstlich fern.
    «Wirt, einen halben Liter Schnaps!» rief Yu Zhan’ao und setzte sich auf eine

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