Das Rote Kornfeld
Sohlen, um die Hunde nicht zu wecken, auf den Weg in das schlafende Dorf. Am Eingang zum Anwesen der Familie Shan sah er sich mit angehaltenem Atem um. Die Familie Shan bewohnte zwanzig Gebäude, die von einem Erdwall in ein östliches und ein westliches Gehöft unterteilt wurden. Das gesamte Anwesen war von einer Mauer mit zwei Toren umgeben. Die Brennerei befand sich im östlichen Gehöft, die Familie lebte im Westgehöft, an dessen westlichem Rand es noch einmal drei Nebenräume gab. Drei symmetrisch angeordnete Nebenräume am Ostrand des östlichen Gehöfts dienten den Brennereiarbeitern als Unterkunft. Unter einem Zelt im Ostgehöft lag ein schwerer Mühlstein, der von zwei Maultieren bewegt wurde. Schließlich lagen noch drei Räume an der Südwand des Ostgehöfts, wo sich eine Tür nach Süden öffnete. Dort wurde der Branntwein verkauft.
Die Mauer war hoch, und selbst auf Zehenspitzen konnte Yu Zhan’ao nicht ins Innere des Gehöfts sehen. Also sprang er hoch und hielt sich an der Mauerkante fest. Das kratzende Geräusch weckte die Hunde auf der anderen Seite, die laut zu bellen begannen. Schnell zog er sich auf halbe Pfeilschussweite zurück und kauerte sich auf dem Platz zusammen, wo die Familie Shan ihre Hirse trocknete. Er musste einen Plan schmieden. Auf dem Platz lag ein Haufen von Hirsehülsen zum Trocknen. Er kniete daneben nieder, zog Docht und Feuerstein aus der Tasche und zündete den Haufen an. Aber kaum dass er anfing, Feuer zu fangen, kam ihm eine bessere Idee. Er erstickte die Flamme mit den Händen, ging zu einem Blätterhaufen hinüber, der vielleicht zwanzig Schritt weiter weg lag, und zündete den an. Die Blätter, die nicht so kompakt waren wie die Hülsen, würden schneller brennen und leichter zu löschen sein. In der windstillen Nacht streckte sich die Milchstraße, von Tausenden blinkender Sterne umgeben, über den wolkenlosen Himmel. Schnell stiegen Flammen auf und beleuchteten das Dorf taghell.
«Feuer», schrie Yu Zhan’ao so laut er konnte, «Feuer!» Dann rannte er zur westlichen Wand des Wohntrakts und versteckte sich im Schatten. Flammenzungen stiegen zum Himmel auf, knisternd verbrannten die Blätter, und die Hunde im Dorf schlugen an. Aus dem Schlaf aufgeschreckt, stießen die Brennereiarbeiter im Ostgehöft laute Schreie aus. Dann öffnete sich auch das Westtor, und der zusammengeschrumpfte alte Mann mit dem mitleiderregenden Zöpfchen stürzte heulend und schreiend heraus. Zwei große gelbe Hunde jagten an ihm vorbei auf das tobende Feuer zu und begannen zu heulen.
«Feuer, Feuer. So löscht doch ..,», dem alten Mann standen die Tränen in den Augen. Die Brennereiarbeiter rannten in den Hof, suchten Eimer, die sie über Tragstangen hängten, und eilten zum Brunnen. Auch der alte Mann stürzte wieder ins Haus und kam mit einem schwarzen Tonkrug zurück, den er am Brunnen füllte.
Yu Zhan’ao warf seinen Strohmantel ab und schlich sich am Fuß der Mauer ins Westgehöft. Eng an die Wand geschmiegt, sah er den Männern bei ihren Löscharbeiten zu. Goss man einen Eimer Wasser ins Feuer, so glich der Strahl im Flammenschein einem Stück weißer Seide, das sich in der Hitze krümmte und wand. Eimer um Eimer wurde ins Feuer geschüttet, gewaltig strömende Kaskaden, die sich im nächsten Augenblick in schwebende Watteflocken von zerbrechlicher Schönheit verwandelten.
Die Stimme der Vernunft, die Stimme eines bedachten Menschen, rief von drinnen: «Lass es ausbrennen, Herr, es wird von selber ausgehen.»
«Löscht doch! Löscht doch!» weinte er. «Eilt euch! Löscht schon! Das ist das Maultierfutter für einen ganzen Winter.»»
Yu Zhan’ao verschwendete keinen Blick mehr an das Drama, das sich im Hof abspielte, und schlich ins Haus. Beklemmend feuchte Luft schlug ihm entgegen. Sein Haar sträubte sich. Eine nasse, schimmelbefallene Stimme erklang aus dem westlichen Hinterzimmer: «Vater? Was brennt da?»»
Yu Zhan’ao, der ins Feuer gesehen hatte, bevor er sich ins dunkle Haus schlich, konnte im ersten Augenblick nichts erkennen. Er wartete, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Als die Stimme ihre Frage wiederholte, ging er auf sie zu. Das Licht, das durch das Papierfenster in den Raum drang, ließ ihn den langgestreckten flachen Kopf erkennen, der auf dem Kissen lag. Er griff danach und drückte ihn herunter. Erschreckt rief die Stimme: «Wer ist da? Wer bist du?» Zwei klauenähnliche Hände gruben sich in Yu Zhan’aos Rücken. Er zog das Schwert
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