Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
Vater trat heran und stieß den Hornisten in die Seite. «Onkel Liu!»» rief er, und das Horn fiel zu Boden. Vater blickte genauer hin und sah, dass das Gesicht des Hornisten schon zu Stein erstarrt war.
    Im dürren Feld nahe der Böschung fanden sie Fang Sieben, dem die Därme aus dem Bauch quollen, und einen Soldaten namens Schwindsucht Vier. Er war der vierte Sprössling seines Vaters und hatte als Kind an Schwindsucht gelitten. Eine Kugel hatte ihn ins Bein getroffen, und durch den Blutverlust war er ohnmächtig geworden. Großvater hielt dem Mann die blutverschmierte Hand vor den Mund und konnte schwach seinen heißen, trockenen Atem spüren. Fang Sieben hatte sich die Därme selbst in die Bauchhöhle zurückgeschoben und die offene Wunde mit Hirseblättern bedeckt. Er war noch bei Bewusstsein. Als er Großvater und Vater erkannte, zuckten seine Lippen. Stammelnd flüsterte er: «Kommandant! Ich bin erledigt ... Wenn Ihr meine Alte seht, gebt ihr Geld. Sie soll nicht wieder heiraten. Mein Bruder ... keine Söhne ... Wenn sie weggeht ... Familie Fang zu Ende.»» Vater wusste, dass Fang Sieben einen Sohn hatte, der ein Jahr alt war, und dass die kürbisförmigen Brüste seiner Mutter so prall von Milch waren, dass er fett und vergnügt heranwuchs.
    «Ich trag dich nach Hause, kleiner Bruder»», sagte Großvater.
    Er bückte sich und lud Fang Sieben auf seinen Rücken. Fang schrie vor Schmerz, und Vater sah, wie die Blätter von der Wunde fielen und die weiß gefleckten Eingeweide aus der Bauchhöhle glitten und einen heißen stinkenden Wind freiließen. Großvater legte ihn wieder auf den Boden. «Älterer Bruder»», bat Fang, «erlöse mich von meinem Elend. Quäl mich nicht. Bitte, erschieß mich!»
    Großvater beugte sich nieder und hielt Fangs Hand. «Kleiner Bruder, ich kann dich zu Zhang Xinyi bringen, dem Arzt. Der bringt dich wieder in Ordnung.»»
    «Tu es jetzt, älterer Bruder, und lass mich nicht leiden. Da gibt es nichts mehr zu heilen.»»
    Mit zusammengekniffenen Augen sah Großvater zum trüben Spätsommerhimmel auf, an dem sich die ersten hellen Sterne zeigten, und stieß einen langen, heulenden Schrei aus. Dann wandte er sich Vater zu: «Ist deine Pistole geladen, Douguan?»
    «Ja, Vater.»
    Vater gab Großvater die Pistole. Der entsicherte sie, blickte noch einmal zum düsteren Himmel auf und ließ die Trommel rotieren. «Ruhe in Frieden, Bruder. Solange Yu Zhan’ao zu essen hat, werden deine Frau und dein Sohn nicht hungern.»
    Fang Sieben nickte und schloss die Augen.
    Großvater hob den Revolver, als schleppe er einen schweren Stein. Das Gewicht ließ ihn erzittern.
    Fang Sieben öffnete die Augen: «Älterer Bruder ...»
    Großvater wandte das Gesicht ab, und aus der Mündung schoss ein Flammenstoß, der Fang Siebens Kopfhaut grün aufleuchten ließ. Der Kniende stürzte vornüber und fiel auf seine eigenen Eingeweide. Vater hätte nie geglaubt, dass so viele Därme im Bauch eines Mannes Platz hatten.
    «Schwindsucht Vier, du machst dich besser auch auf den Weg. So bist du der nächsten Wiedergeburt näher und kannst dich an den japanischen Schweinen rächen.»» Er feuerte Schwindsucht Vier die letzte Kugel ins Herz. Dessen Leben hatte ohnehin nur noch an einem Faden gehangen.
    Nachdem er Schwindsucht Vier erschossen hatte, ließ Großvater, für den das Töten zu einem normalen Teil des Lebens geworden war, den Arm sinken, der wie eine tote Schlange von der Schulter hing. Die Pistole fiel zu Boden.
    Vater bückte sich, hob sie auf und steckte sie in den Gürtel. Dann zupfte er Großvater, der wie gelähmt dastand, am Ärmel. «Komm, Vater, wir gehen nach Hause.»»
    «Nach Hause? Nach Hause? Ja, gehen wir nach Hause ...»
    Vater zerrte seinen Vater die Böschung hoch und machte sich vorsichtig auf den Weg nach Westen. An diesem Abend, am neunten Tag des achten Monats, erfüllte der halbe Mond den Himmel mit kalten Strahlen, die leicht auf Vaters und Großvaters Rücken fielen und die Oberfläche des Schwarzwasserflusses erstrahlen ließen. Das Blut im Wasser reizte die Aale zur Weißglut. Blass und hungrig schlängelten und wanden sie sich, wie silberne Bogenlampen strahlend, an der Wasseroberfläche. Aus dem Wasser stieg blaue Kälte und verband sich mit der roten Wärme der Uferhirse zu einem schimmernden Dunst. Vater dachte an den schweren Nebel zurück, in dem sie an diesem Morgen aufgebrochen waren. Nur ein einziger Tag und doch so lang wie zehn Jahre ! Und dabei war alles in der

Weitere Kostenlose Bücher