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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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den Gräbern nieder, und Klagelaute erfüllten die weiten Felder. Allmählich erloschen die Fackeln. Eine Sternschnuppe fuhr über den südlichen Himmel und verglühte hinter den Spitzen der Hirsepflanzen.
    Der Morgen graute schon, als man neue Fackeln brachte. Erstes milchiges Licht durchdrang den Nebel über dem Fluss. Geräuschvoll grasten die Zugtiere, Pferde und Ochsen, die man in der Nacht herangeführt hatte, im Feld und kauten mahlend an den Rispen.
    Großvater befahl seinen Männern, die Rechenbarriere von der Straße zu räumen und den ersten Lastwagen, den mit den plattgeschossenen Reifen, in den östlichen Straßengraben zu schieben. Dann griff er zur Schrotflinte, zielte sorgfältig auf den Benzintank und drückte ab. Hunderte von Stahlkugeln durchbohrten das Blech und ließen den Treibstoff aus kleinen Löchern spritzen. Er nahm einem der Männer die Fackel aus der Hand, trat einen Schritt zurück und schleuderte sie auf den Wagen. Eine gewaltige weiße Flamme loderte auf, ließ die Karosserie erglühen und verwandelte den Lastwagen in einen Haufen aus verbogenem Blech.
    Dann legten die Dorfbewohner die Schultern an den unbeschädigten Wagen, der mit Reis beladen war, schoben ihn über die Brücke auf die Straße und ließen endlich das ausgebrannte Skelett des dritten Lastwagens in den Fluss rollen. Auch der Tank des vierten Wagens wurde von Kugeln durchsiebt und in Brand gesteckt. Auf der Brücke blieb nichts als dunkle Haufen glühender Asche. Im Norden und im Süden schlugen Flammen zum Himmel. Gelegentlich explodierte eine Granate. Im Flammenschein wurden die Leichen der Japaner knusprig geröstet, und der Geruch von gebratenem Fleisch vermengte sich mit dem beißenden Gestank, der die Luft erfüllte. Die Kehlen der Männer trockneten aus, und ihre Mägen revoltierten.
    «Was sollen wir mit den toten Japanern tun, Kommandant Yu ?» fragte der Alte.
    «Wenn wir sie begraben, verpesten sie unseren Boden. Wenn wir sie verbrennen, wird unsere Luft nach ihnen stinken. Schmeißt sie in den Fluss und lasst sie nach Hause schwimmen!»
    Die Leichen von mehr als dreißig Japanern wurden mit Metallhaken an langen Stangen auf die Brücke geschleppt. Auch der alte Japaner, dem Zugführer Lengs Soldaten die Generalsuniform ausgezogen hatten, war dabei.
    «Frauen wegsehen!» kommandierte Großvater.
    Er zog sein Schwert, schnitt den Japanern die Hosen zwischen den Beinen auf und schlug einem nach dem anderen das Gemächt ab. Dann befahl er ein paar weniger empfindlichen Männern, den ehemaligen Besitzern die abgetrennten Teile in den Mund zu stopfen. Jeweils zwei Männer packten schließlich die toten Japaner und warfen sie über das Brückengeländer. Vielleicht waren es im Grunde ihres Herzens anständige Menschen gewesen, manche von ihnen mochten hübsch gewesen sein, und gewiss hatten sie alle in der Blüte ihrer Jugend gestanden.
    «Japanische Hunde»», riefen die Dorfbewohner, «schwimmt nach Hause!» Den Familienschatz im Munde tragend, flogen die Japaner in hohem Bogen durch die Luft, landeten laut klatschend im Wasser und wurden von der Strömung nach Osten getragen.
    Als die Morgensonne mit schwachem Schein aufging, waren die Dorfbewohner so erschöpft, dass sie sich kaum mehr bewegen konnten. Unter dem dunklen Morgenhimmel erstarb das Feuer der Fackeln, und saphirblaue Schatten breiteten sich aus. Großvater ließ die Leute ihre Zugpferde und Ochsen mit Stricken und Seilen an die Stoßstange des unbeschädigten Lastwagens mit seiner Reisladung binden. Dann trieben sie die Tiere an und schleppten so den Wagen ab.
    Die Zugtiere legten sich ins Geschirr, die Seile strafften sich, die Achsen quietschten laut, und der Lastwagen kroch wie ein gewaltiger Käfer vorwärts. Die Vorderräder hielten die Spur nicht. Also ließ Großvater die Tiere anhalten, stieg in die Fahrerkabine und versuchte, den Wagen zu lenken. Wieder legten sich die Tiere ins Geschirr, und die Seile strafften sich. Er kämpfte mit dem Lenkrad, bis er sich an die ungewohnte Aufgabe gewöhnt hatte. So schwer war es nicht! Jetzt fuhr der Wagen geradeaus, und die staunenden Dorfbewohner folgten ihm ängstlich. Mit einer Hand das Lenkrad umklammernd, fummelte Großvater mit der anderen am Armaturenbrett herum. Er legte einen Schalter um, und zwei Lichtstrahlen strömten aus dem Kühlergrill.
    «Das Tier hat die Augen aufgemacht», rief jemand von hinten.
    Das Scheinwerferlicht fiel auf ein langes Straßenstück und spiegelte sich im Fell der

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