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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Zugtiere. Voll kindlicher Begeisterung schob, zog und drückte Großvater jeden Knopf und jeden Schalter, der ihm unter die Finger kam. Plötzlich begann die Hupe laut zu plärren, und die Pferde spitzten erschreckt die Ohren. «Deine Stimme hast du also nicht verloren», dachte Großvater. Begeistert drehte er den Zündschlüssel. Ein dumpfes Grollen drang aus den Eingeweiden des Untiers, und der Lastwagen schoss plötzlich voran, fuhr Maultiere und Ochsen um und schob Pferde und Esel von der Straße. Großvater erschrak so sehr, dass ihm der Angstschweiß über den Rücken floss. Er saß auf dem Rücken des Tigers und konnte nicht mehr absteigen.
    Mit offenem Mund sahen die Dorfbewohner zu, wie der Lastwagen die Tiere zu Boden schleuderte und mit sich fortriss. Nach ein paar Dutzend Metern rollte er in den Straßengraben, seufzte ersterbend auf und blieb auf der Seite liegen, während die Räder sich wie Mühlenflügel drehten. Großvater zerschlug die Windschutzscheibe und kletterte aus der Fahrerkabine, Gesicht und Hände blutverschmiert.
    Starr blickte er das dämonische Wesen an und brach dann plötzlich in verzweifeltes Gelächter aus.
    Die Dorfbewohner luden den Reis ab, und Großvater durchlöcherte auch den Bezintank dieses Wagens mit der Schrotflinte, bevor er das Benzin mit einer Fackel entzündete. Die Flammen loderten zum Himmel auf.
     
     
8
     
    Vierzehn Jahre zuvor hatte Yu Zhan’ao, das Bettzeug auf dem Rücken gerollt und in frisch gebügelte weiße Hosen und Jacke gekleidet, im Hof unseres Anwesens gestanden und gerufen : «Chefin, stellt Ihr Arbeiter ein?»
    Hundert Gedanken schossen Großmutter gleichzeitig durch den Kopf, und alle angeborenen Instinkte ließen sie im Stich. Die Schere fiel ihr aus der Hand und blieb auf dem Bett liegen, und sie selbst lag hingestreckt auf der neuen Steppdecke mit dem purpurroten Überzug.
    Seine Nase roch frische Farbe und einen zarten weiblichen Duft. Yu Zhan’ao fasste Mut und betrat das Zimmer.
    «Chefin, stellt Ihr Arbeiter ein?»
    Das Gesicht zur Decke gewandt, lag Großmutter mit verwirrtem Blick auf dem Bett.
    Yu Zhan’ao warf sein Bettzeug auf den Boden und näherte sich langsam dem gemauerten Lager. Er beugte sich über sie und sah sie an. Sein Herz war ein warmer Teich, in dessen Tiefe sich Mondkröten tummelten und über dem Regenschwalben hin und her segelten. Als sein dunkles Kinn kaum mehr so weit wie ein Blatt Papier von Großmutters Gesicht entfernt war, holte sie aus und versetzte ihm einen Schlag auf den dunkel glänzenden Kopf. Dann richtete sie sich auf, griff nach der Schere und schrie : «Wer bist du? Was fällt dir ein? Wie kannst du ins Zimmer einer fremden Frau eindringen und dich so benehmen?»
    Verblüfft fuhr er zurück und fragte: «Du ... du kennst mich wirklich nicht?»
    «Was sind das für Reden? Als junges Mädchen habe ich ein behütetes Leben geführt und das Haus bis zu meinem Hochzeitstag nicht verlassen. Das war vor weniger als zwei Wochen. Woher sollte ich dich kennen?»
    «Also gut», sagte er lächelnd, «wenn du es so haben willst. Ich habe gehört, dass Ihr Arbeiter für die Brennerei sucht, und ich brauche Arbeit, um mich satt zu essen.»»
    «Kein Problem, wenn du harte Arbeit nicht scheust. Wie heißt du? Wie alt bist du?»
    «Ich heiße Yu Zhan’ao, und ich bin vierundzwanzig.»
    «Nimm dein Bettzeug und geh nach draußen.»
    Gehorsam verließ Yu Zhan’ao das Gehöft und wartete. Die Sonne brannte über den Wäldern, die Straße zur Bezirkshauptstadt schlängelte sich schmal und lang zwischen Hirsefeldern. Im Hof lagen noch Überreste des verbrannten Blätterhaufens, und die Erinnerung an das, was dort geschehen war, stieg in ihm auf. Er wartete etwa eine halbe Stunde vor dem Tor und wurde von Minute zu Minute unruhiger. Er konnte sich kaum zurückhalten, ins Haus zu stürzen und ein für allemal mit dieser Frau abzurechnen.
    Nachdem er Shan Tingxiu und seinen Sohn ermordet hatte, war Yu Zhan’ao nicht weggelaufen, sondern hatte sich im Feld neben der Bucht versteckt, um zu beobachten, was nun geschehen würde. Er stieß einen Seufzer der Bewunderung aus, als er an die erstaunliche Vorstellung dachte, die Großmutter gegeben hatte. Sie war jung, aber sie hatte scharfe Zähne und konnte Pläne schmieden wie sonst keine. Das war eine Frau, mit der man rechnen musste, keine harmlose Sparlaterne. Vielleicht benahm sie sich ja heute nur so, um sich vor spähenden Augen und lauschenden Ohren zu schützen. Also

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