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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Ladefläche, hoben die Leiche des Stummen über das Geländer und packten sie Großvater auf den Rücken. Dann kamen noch zwei Männer dazu. Einer hielt den Kopf des Stummen, der andere seine Beine. So taumelten sie unter ihrer Last die Böschung hinauf und legten die Leiche am östlichen Ende der langen Reihe nieder. Der Stumme umklammerte noch immer seinen blutbespritzten Säbel. Die Leiche war in der Hüfte geknickt, leblos starrend standen die Augen offen, der Mund war weit aufgerissen, als wolle er schreien.
    Großvater beugte sich über Brustkorb und Knie des Toten. Vater hörte das Knacken im Rückgrat der Leiche, als sie geradegestreckt wurde. Großvater versuchte dem Stummen den Säbel aus der Hand zu winden, aber der verkrampfte Griff des Toten war nicht zu lösen. Also presste er den Arm parallel zum Körper nach unten, bis der Säbel neben dem Bein lag. Eine der Frauen kniete nieder und strich dem Toten über die Lider. «Bruder»», sagte sie, «schließ die Augen. Kommandant Yu wird dich rächen.»»
    «Vater»», weinte mein Vater, «Mutter liegt immer noch im Feld.»»
    Mit einer Handbewegung sagte Großvater: «Geh du! Nimm ein paar Leute mit und bring sie her!»»
    Vater stürzte ins Hirsefeld. Ein paar Leute mit Fackeln folgten ihm. Brennendes Öl fiel zwischen die Pflanzen. Zornig knisterten die brennenden Blätter, und als das Feuer sich ausbreitete, neigten die Halme ihre schweren Häupter und weinten mit heiserer Stimme.
    Unter den Hirsehalmen, die Vater auseinanderbog, lag Großmutter auf dem Rücken. Ihre toten Augen blickten in den fernen, einzigartigen, sternenübersäten Himmel von Nordost-Gaomi. Kurz bevor sie starb, hatte sie mit lauter Stimme den Himmel angerufen, und der war vor ihrem Schrei erschaudert. Noch im Tod war ihr Gesicht zart wie Jade. Hinter den offenen Lippen zeigten sich die klaren Zähne, zwischen denen weiße Tauben mit Smaragdschnäbeln Hirsekörner niedergelegt hatten. Ihre von Kugeln durchbohrte Brust sprach den Moralpredigten dieser Welt Hohn und pries Stärke und Freiheit, die Majestät des Lebens und die Glorie der Liebe.
    Großvater trat neben die fackelumrahmte Leiche. Brennende Blätter zischten und dampften. Feurige Schlangen wanden sich über den weiten Feldern und bedrohten die Hirserispen, die um ihr Leben kämpften.
    «Tragt sie nach Hause!» sagte Großvater.
    Eine Gruppe junger Frauen sammelte sich um die Leiche und hob sie auf. Fackeln gingen dem Leichenzug voran, und auch auf beiden Seiten des Weges waren Fackeln; geheimnisvolles Licht umgab die Frauen im Zug, und das Hirsefeld verwandelte sich in ein Feenreich.
    Sie trugen Großmutters Leiche die Böschung hinauf und legten sie am westlichen Ende der langen Reihe von Toten nieder.
    Der Alte mit dem dunklen Gesicht und dem weißen Bart fragte: «Kommandant Yu, woher sollen wir Särge für sie alle nehmen?»
    Großvater dachte einen Augenblick nach. Dann sagte er: «Wir werden sie nicht ins Dorf tragen, und wir brauchen keine Särge. Begrabt sie im Hirsefeld. Wenn ich meine Männer wieder gesammelt habe, werden sie ein königliches Leichenbegängnis erhalten.»
    Der alte Mann schickte ein paar Leute zurück ins Dorf, um neue Fackeln zu drehen, denn man würde die ganze Nacht hindurch damit zu tun haben, die Toten zu begraben. «Bringt auch ein paar Jungtiere mit, wenn ihr wiederkommt», sagte Großvater, «damit wir den Lastwagen da ins Dorf schleppen können.»
    Im Fackelschein begruben die Dorfbewohner ihre Toten. Es war lange nach Mitternacht, als sie damit fertig wurden. Großvater ließ sie Hirsepflanzen schneiden, die Gräber damit ausfüttern und die Leichen bedecken, bevor Erde über sie geschaufelt wurde.
    Großmutter war die letzte, die sie begruben. Noch einmal umschlang Hirse ihren Körper. Vater sah, wie die letzte Staude ihr Gesicht bedeckte, und sein Herz schrie wie von Nadeln durchbohrt in jähem Schmerz auf. Die Narbe, die sein Herz davontrug, sollte nie wieder heilen. Großvater warf die erste Schaufel Erde in das offene Grab. Dumpf schlugen die Schollen auf die Hirsestauden und sprangen noch einmal auf, bevor sie im sanften Flüstern zwischen den Halmen Ruhe fanden. Der Tod zerriss die Stille mit dem Klang explodierender Handgranaten. Vaters Brust verkrampfte sich, und die Schneidezähne bohrten sich in seine schmale Unterlippe.
    Großmutters Grabhügel war neben fünfzig anderen Gräbern im Hirsefeld. «Dorfgenossen», sagte der Alte, «auf die Knie!»»
    Die Dorfbewohner knieten vor

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