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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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und versuchte, die Richtung auszumachen, aus der das Hufgetrappel kam. Am Nachmittag war er fast vor Angst gestorben, als sich ein gewaltiges feuerrotes Pferd auf ihn gestürzt hatte. Er konnte nur noch einen riesigen beschlagenen Huf sehen, der auf seinen Kopf zuraste. Wie ein Blitz strahlte das Hufeisen, ein Anblick, der sich tief in sein Gedächtnis grub. Völlig außer sich rief er nach seinem Vater, verschränkte die Arme über dem Kopf und kauerte sich unter die Hirsehalme. Der Gestank von Schweiß und Urin strömte aus dem Wirbelwind, zu dem das Pferd geworden war, auf seinen Kopf, seinen Körper, sei Gesicht, ein Gestank, den er glaubte, nie wieder abwaschen zu können. Abgerissene Hirserispen wirbelten durch die Luft. Blutgetränkte Hirsekörner flogen als winzige Hagelschloßen über Vaters Kopf und blieben als erbarmungswürdige Körnchen auf dem Boden liegen.
    Bei diesem Anblick musste er wieder an Großmutter denken, als sie auf dem Rücken im Feld lag, ihr Gesicht von Hirsekörnern bedeckt. Eine Woche war die Hirse reif, doch nicht dürr gewesen. Tauben hatten mit ihren kurzen Schnäbeln das Getreide enthülst, das nicht Hagelschloßen, sondern noch zarten Regentropfen glich. Großmutters perlweiße Zähne leuchteten zwischen den geöffneten blutleeren Lippen. Das Bild der fünf oder sechs Hirsekörner, die wie Diamanten auf ihren Zähnen glänzten, tauchte kurz vor seinen Augen auf.
    Das heranstürmende Pferd konnte nur mit Mühe kehrtmachen. Hirsehalme kämpften erbittert gegen seinen Rumpf, einige zersplitterten in zwei Teile, andere bogen sich, bevor sie zerbrachen, und wieder andere neigten sich und sprangen wieder auf. Im Herbstwind zitterten sie wie fiebergeschüttelte Malariakranke. Vater sah die geblähten Nüstern und fleischig umgestülpten Lippen des Pferds. Es biss auf die Trense, und blutiger Schaum spritzte ihm aus dem Maul und tropfte von der gierig vorgestreckten Unterlippe. Die aufgewühlten Hirsepflanzen schleuderten ihm Wolken von weißem Staub in die wässrigen Augen. Auf dem Streitross mit dem glänzenden Fell saß ein furchteinflößender junger japanischer Reiter, dessen Kopf unter dem viereckigen Käppi kaum über die Spitzen der Hirse hinaussah. Die Getreidehalme peitschten, schlugen und stießen ihn erbarmungslos, ja sie schienen ihn zu verspotten. In seinen zusammengekniffenen Augen spielten Abscheu und Verachtung für die Hirsehalme, die ihm Schwielen ins Gesicht schlugen und seine Schönheit zerstörten. Vater sah, wie er mit gezogenem Säbel verbissene Attacken gegen die Hirse ritt. Einige Halme schlug er so glatt ab, dass sie geräuschlos neben ihre totenstillen Stümpfe fielen, andere hingen klagend im Todeskampf an dünnen Fäden und zitterten aufbegehrend zwischen den Blättern und Halmen, die sie umgaben. Andere wieder neigten sich vor dem Säbelhieb, um dann zurückzuspringen und sich um die blanke Klinge zu Knäulen.
    Vater sah, wie der japanische Kavallerist sein Pferd hochriss und mit gezogenem Säbel erneut zum Angriff ansetzte. Er hob seinen nutzlosen Browning auf, der ihn verraten und ihm im Kampf beigestanden hatte, und schleuderte ihn dem anstürmenden Pferd entgegen. Die Pistole schlug mit dumpfem Schlag mitten auf der Stirn des Pferdes auf. Der Fuchs riss den Kopf hoch, sackte in die Knie, küsste mit den Lippen die schwarze Erde, und sein Hals fiel zur Seite, als der Kopf den Boden traf. Der Reiter, der aus dem Sattel geschleudert worden war, hatte sich wohl im Sturz den Arm gebrochen, denn als er mit dem Arm den Boden berührte, fiel ihm der Säbel aus der Hand, und Vater hörte ein lautes splitterndes Geräusch. Ein rauher, scharf gebrochener Knochensplitter bahnte sich seinen Weg durch den Ärmel der Uniformjacke, und der schlaff herabhängende Arm begann zu zucken, als habe er ein eigenes Leben. Wo zuerst nichts weiter als ein weißes Knochenstück gewesen war, schrecklich und tödlich, begann bald frisches Blut zu laufen, mal jäh aufspritzend, dann wieder langsam hervorsickernd, stärker und wieder schwächer, verebbend und wieder strömend, wie ein Kranz von roten Kirschen. Das eine Bein des Japaners war unter dem Bauch des Pferdes eingeklemmt, das andere lag in stumpfem Winkel über dem Kopf des Tieres. Vater hätte sich nie träumen lassen, dass es so leicht sein könne, ein gewaltiges Kavalleriepferd und seinen Reiter zu Fall zu bringen. In diesem Augenblick kroch Großvater zwischen den Hirsepflanzen hervor und rief leise: « Douguan!»
    Mühsam

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