Das Rote Kornfeld
und neben einem Kilo Mist ließ er fünfhundert Patronen zu Boden fallen. Ohne sich um den stinkenden Schmutz zu kümmern, sammelten sie die Munition auf und nahmen im Hirsefeld die Schlacht gegen die Eindringlinge auf.
Sie töteten Dutzende von Japanern und ihren Marionetten, aber sie waren der Übermacht nicht gewachsen. Als es dunkel wurde, versuchten die Dorfbewohner den Belagerungsring im Süden des Dorfes zu durchbrechen, von wo keine Schüsse gefallen waren. Verheerende Maschinengewehrgarben stießen ihnen entgegen. Hunderte von Männern und Frauen starben im Hirsefeld, und ihre verwundeten Kameraden knickten im Todeskampf zahllose Halme roter Hirse.
Bevor sie sich zurückzogen, setzten die Japaner das Dorf in Brand. Die Flammen schlugen zum Himmel auf und ließen seine eine Hälfte weiß erstrahlen. In dieser Nacht war der Mond voll und blutrot, aber der Kampf, der unter ihm tobte, ließ ihn fahl und schwach erscheinen wie einen vergilbten Scherenschnitt.
«Wohin jetzt, Vater?»»
Keine Antwort.
Drittes Kapitel
Hundewege 1
1
Die ruhmreiche Geschichte der Menschheit ist überreich an Hundegeschichten und Hundelegenden: verachtenswerte Hunde, ehrenwerte Hunde, furchtbare Hunde und liebenswerte Hunde. Zu der Zeit, als mein Großvater und mein Vater unentschlossen vor einem Scheideweg des Lebens standen, scharrten, unter der Führung dreier Rüden unserer Familie - des Schwarzen, des Grünlichen und des Roten -, Hunderte von Hunden mit ihren Klauen fahle Pfade in die dunkle Ackerkrume südlich des Dorfs, dort wo das Massaker im Hirsefeld stattgefunden hatte. Früher hatte es in unserer Familie fünf Hunde gegeben, aber die beiden gelblichen hatten nach einem langen und abenteuerlichen Leben das Zeitliche gesegnet, als mein Vater drei Jahre alt war. Als der Schwarze, der Grünliche und der Rote ihre Fähigkeiten bewiesen und die Meute zum Ort des Massakers führten, waren sie beinahe fünfzehn Jahre alt; für Menschen ein jugendliches Alter, aber für Hunde die Mitte des Lebens, das Alter der Zuversicht.
Nach dem Massaker hatte sich das Bild schwarzen Bluts wie eine dunkle Wolke vor einer blutroten Sonne ins Gedächtnis meines Großvaters und meines Vaters eingegraben, die am Brückenkopf über dem Schwarzwasserfluß im Hinterhalt lagen. Nur Vaters Erinnerungen an Großmutter glichen Sonnenstrahlen, die sich bemühten, die Wolkendecke zu durchbrechen. Es muss der Sonne unerträglichen Schmerz bereiten, wenn dunkle Wolken sie bedecken. Ich habe mich von jeher den Sonnenstrahlen verwandt gefühlt, denen es gelungen ist, die Wolken zu durchdringen. Wenn ich aber daran denke, wie es meinem Vater zumute gewesen sein muss, der sich zwischen den Schlachten unter verwilderten, leichenfressenden Hunden ausruhte und sich nach Großmutter sehnte, fühle ich die Ängste eines heimatlosen Straßenköters.
Das nächtliche Massaker am Mittherbstfest des Jahres 1939, das unser Dorf verwüstete, hat Hunderte von Hunden heimatlos gemacht. Vom Gestank nach menschlichem Blut und Eingeweiden angezogen, waren sie ein leichtes Ziel für die Pistole meines Großvaters, die nach jedem Schuss heißen Pulverdampf verströmte. Vor einem Herbstmond, so weiß wie Rauhreif und so kalt wie Eis, glühte ihr Lauf dunkelrot. Als die Schlacht vorüber war, lagen die Felder reglos und still im unberührten fahlen Mondlicht. Im Dorf wüteten noch die Flammen. Lodernd stiegen sie zum tiefen Himmel auf und klirrten knisternd wie Fahnen im Sturm. Nachdem die japanischen Teufel und ihre chinesischen Marionettensoldaten eine Spur der Vernichtung durch das Dorf gezogen hatten, setzten sie vor ihrem Abzug durch das Nordtor die Häuser in Brand. Das alles war drei Stunden zuvor geschehen, und damals entzündete sich Großvaters rechter Arm, an dem er eine Woche zuvor verwundet worden war; eitrig hing er ihm wie ein nutzloses Stück Fleisch von der Schulter. Vater half ihm, die Wunde zu verbinden, und Großvater warf die heißgelaufene Pistole auf die feuchte schwarze Erde, wo sie zischend unter der Hirse liegenblieb. Als seine Wunde verbunden war, blieb Großvater sitzen und lauschte dem Schnauben und Wiehern der japanischen Schlachtpferde und dem dumpfen Klang galoppierender Hufe. Die Reiter verließen das Dorf und schlossen nördlich davon wieder ihre Reihen. Die Stille der Hirsefelder verschluckte den Hufschlag, die Schreie der Packesel und den ermüdeten Marschtritt der chinesischen Marionettensoldaten.
Vater stand neben Großvater
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