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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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rappelte Vater sich auf und blickte zu Großvater hinüber.
    Aus der Tiefe des Hirsefeldes setzten die japanischen Reiter zu einem neuen Blitzangriff an. Die Luft füllte sich mit einer verwirrenden Mischung aus dem dumpfen Geräusch des Hufschlags auf der weichen Erde und dem hellen Knistern der brechenden Hirsehalme. Von Vaters und Großvaters Schüssen aus dem Hinterhalt irritiert, sahen sich die Angreifer gezwungen, ihre Schlacht gegen die verbissen kämpfenden Verteidiger des Dorfs fürs erste abzubrechen, um die Schlinge um das Hirsefeld enger ziehen zu können.
    Großvater schlang Vater in die Arme und presste ihn auf den Boden, solange die Kavalleriepferde mit ihren breiten Brüsten und mächtigen Hufen über sie hinwegdonnerten. Stöhnende Klumpen dunkler Erde wirbelten in ihrer Spur zum Himmel, zornig schwankten hinter ihnen die Hirsehalme, und goldrotes Korn wurde über die Erde verstreut und füllte die tief in den Acker geprägten Hufspuren der Pferde.
    Nachdem sich die Kavallerie in die Ferne verzogen hatte, ließ das Schwanken des Getreides allmählich nach. Großvater stand auf, und als Vater sich neben ihn stellte, bemerkte er die tiefen Spuren seiner Knie im dunklen Ackerboden und erkannte, mit welcher Gewalt ihn Großvater heruntergepresst hatte.
    Der japanische Reiter war nicht tot. Von bohrenden Schmerzen aus seiner Ohnmacht geweckt, stützte er sich mit dem unverletzten Arm auf den Boden und zog das Bein, das über dem Pferdekopf lag und wahrscheinlich ausgerenkt war, mühsam wieder in Reitposition. Die kleinste Bewegung des Beins, das nicht mehr das seine zu sein schien, ließ ihn vor Schmerz stöhnen. Vater sah durch eine Maske von Schmutz und Pulverspuren, die sein Gesicht bedeckte, wie ihm der Schweiß von der Stirn und über seine Wangen strömte, auf denen er grässliche weiße Hautbahnen freilegte. Auch das Pferd lebte noch. Sein Hals begann sich zu winden wie eine riesige Schlange; die smaragdgrünen Augen starrten in den fremden Himmel und die fremde Sonne der Gemeinde Nordost-Gaomi. Der japanische Kavallerist ruhte einen Augenblick aus, dann versuchte er, sein anderes Bein unter dem Pferdekörper hervorzuzerren.
    Großvater trat hinzu und zog das Bein heraus. Dann hob er ihn am Kragen hoch. Seine Beine waren so gummiweich, dass Großvater sein ganzes Körpergewicht stützen musste. Sobald Großvater ihn losließ, sackte er in sich zusammen wie eine Tonpuppe, die man ins Wasser getaucht hat. Großvater hob den blitzenden Säbel auf und schwang ihn einmal herab und einmal hinauf. Die Rispen von ein paar Dutzend Hirsepflanzen fielen neben den trockenen aufrechten Stümpfen zu Boden.
    Dann hielt er dem japanischen Kavalleristen den Säbel unter die hübsche, gerade, blasse Nase und sagte mit ruhiger, gedämpfter Stimme: «Immer noch so stolz, du japanisches Schwein?»
    Die glänzenden schwarzen Augen des Japaners rollten verzweifelt, und aus seinem Mund strömte unverständliches Gestammel. Vater wusste, dass er um sein Leben flehte. Zitternd griff er mit der Hand, die ihm noch gehorchte, in die Hemdtasche und zog ein durchsichtiges Etui heraus, das er Großvater in die Hand drückte. Noch immer das unverständliche Stammeln und Winseln.
    Vater trat heran, um sich das Etui anzusehen. Es enthielt das Foto einer reizenden jungen Frau, die einen rundlichen Säugling auf dem Arm hielt.
    «Deine Frau?» fragte Großvater.
    Gestammel.
    «Dein Sohn?»
    Wieder die unverständlichen Geräusche in der fremden Sprache.
    Vater presste sein Gesicht so nah daran, dass er das süße Lächeln der Frau und den entwaffnend unschuldigen Blick des Säuglings erkennen konnte.
    «Willst du mich damit weichmachen, japanischer Schweinehund?»
    Großvater warf das Foto hoch in die Luft, wo es wie ein im Sonnenschein glänzender Schmetterling herumsegelte, um sich dann langsam zu Boden zu senken. Großvater nahm den Säbel, den er dem Japaner unter die Nase gehalten hatte, und schwang ihn voll von Verachtung gegen das fallende Bild. Kalt glänzte die Klinge in der Sonne, bevor die Fotografie aufzuckte und in zwei Hälften vor Vaters Füße fiel.
    Vater wurde es schwarz vor Augen; kalte Schauer durchliefen seinen Körper; rote und grüne Funken tanzten vor seinen geschlossenen Augen. Das Herz wollte ihm brechen, und der Gedanke, die Augen zu öffnen und die zerrissenen Gestalten der zarten Frau und ihres unschuldigen Kindes vor sich zu sehen, schien ihm unerträglich.
    Plötzlich kroch der japanische Kavallerist,

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