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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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zwischen den Männern, die ihr Heimatdorf mit Schrotflinten und selbstgebastelten Kanonen hartnäckig verteidigten.
    Großvater holte Vater ein, packte ihn beim Nacken und schüttelte ihn wie einen jungen Hund. «Douguan! Douguan! Du kleiner Idiot! Bist du verrückt geworden? Bist du lebensmüde? Meinst du, du hast lang genug gelebt?»
    Vater krallte sich in Großvaters kräftige Hände und kreischte: «Vater! Vater! Vater! Bring mich nach Hause! Bring mich nach Hause! Ich will nicht mehr kämpfen. Ich will nicht kämpfen. Ich habe Mutter gesehen! Ich habe den Onkel gesehen!»»
    Großvater versetzte ihm einen harten Schlag auf den Mund. Vaters Hals schnappte von der Erschütterung zur Seite und wurde schlaff. Der Kopf fiel ihm auf die Brust, und aus seinen Mundwinkeln quoll blutiger Schaum.
     
     
2
     
    Die japanischen Truppen zogen ab. Wie ein dünnes Blatt Papier ging der Vollmond über den Spitzen der Hirse auf und schien zu schrumpfen, je mehr er wurde. Die Halme, die so viel Leid ertragen hatten, standen ruhig im Mondschein und ließen von Zeit zu Zeit Körner wie glänzende Tränen auf den dunklen Boden fallen. Ein schwerer, süßer Duft breitete sich aus; der dunkle Acker südlich unseres Dorfes war mit Menschenblut getränkt. Die Feuer über dem Dorf stiegen gekrümmt wie Fuchsruten zum Himmel, und gelegentlich erfüllte das krachende Knistern trockenen Rei s igs die Luft mit einem Geruch, in dem sich der Blutgestank aus den Hirsefeldern mit dem Brandgeruch aus dem Dorf zu einer unheimlichen, erstickenden Einheit verband.
    Die Wunde an Großvaters Arm hatte sich wieder entzündet. Der Schorf sprang auf und setzte eine verrottete, klebrig quellende Mischung von dunklem Blut und weißem Eiter frei. Er befahl Vater, die Haut rings um die Wunde zusammenzukneifen. Ängstlich legte Vater seine eisigen Finger auf die dunkel verfärbte Haut um die eiternde Wunde und drückte sie zusammen. Die Wunde spuckte eine Kette von Luftblasen aus, die kleinen Augäpfeln glichen und faulig rochen wie eingelegtes Gemüse. Großvater hob ein Stück gelbes Geisterpapier auf, das von einer Erdscholle auf einem nahegelegenen Grab festgehalten wurde, und sagte Vater, er solle ein wenig von dem salzigen weißen Pulver auf das Papier legen, das die Hirsehalme ausstreuten. Vater kam zurück und hielt das Papier mit einem kleinen Haufen Hirsepuder in beiden Händen. Großvater zog mit den Zähnen die Kugel aus einer Patrone und schüttete das grünliche Schießpulver auf das Papier. Dann vermischte er es mit dem weißen Hirsestaub und streute eine Fingerspitze davon auf die offene Wunde.
    «Vater, willst du nicht auch schwarze Erde nehmen?»
    Großvater dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: «Gut.»
    Also bückte sich Vater, hob eine Scholle dunkler Ackererde neben den Wurzeln einer Hirsepflanze auf, zerrieb sie zwischen den Fingern und streute sie auf das Papierstück. Großvater vermischte die drei Substanzen, strich sie auf die Wunde und bedeckte das Ganze mit dem Papier. Schließlich wickelte Vater eine schmutzige Mullbinde darum und band sie fest zusammen.
    «Fühlt es sich jetzt besser an, Vater?»»
    Großvater bewegte den Arm hin und her. «Viel besser, Douguan. Das ist ein Elixier, das jede Wunde heilt.»
    «Vater, wenn wir so etwas für Mutter gehabt hätten, wäre sie dann nicht gestorben?»
    «Nein, das wäre sie nicht ...» Schatten zogen über Großvaters Gesicht.
    «Vater, wäre es nicht wunderbar gewesen, wenn du mir das früher beigebracht hättest? Mutter hat so stark geblutet, dass ich immerzu Erde auf die Wunde gepackt habe, aber das hat das Blut nur für kurze Zeit gestillt. Wenn ich gewusst hätte, dass ich weißen Hirsestaub und Schießpulver dazutun muss, wäre alles gutgegangen ...»
    Während Vater so vor sich hin redete, lud Großvater seine Pistole. Überall an der Dorfmauer ließen japanische Mörserschüsse heiße gelbe Rauchwolken aufsteigen.
    Weil Vaters Browning unter dem Bauch des toten Pferdes lag, benutzte er in der Endschlacht am Nachmittag ein japanisches Gewehr, das fast so groß war wie er selbst. Großvater gab aus seiner deutschen Selbstladepistole so viele Schüsse ab, dass sie ihre Jugendkraft verlor und am Ende nur noch für die Müllhalde taugte. Aus Vaters Sicht erschien der Lauf von Großvaters Pistole verdreht und verformt. Obwohl die Feuer der Schlacht noch immer den Himmel über dem Dorf erleuchteten, hatte sich über dem Hirsefeld eine Atmosphäre von Frieden und Ruhe

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