Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Vorbild für alle künftigen Einsätze des Internationalen Komitees in Kriegs- und Krisengebieten. Im August 1936 vom IKRK auf eine Erkundungsmission ins Krisengebiet nach Spanien entsandt, konnte es nur einer so integren und nicht zuletzt auch wegen seiner Schweizer Herkunft als «neutral» anerkannten Persönlichkeit wie dem Arzt Marcel Junod gelingen, beide Seiten von der Notwendigkeit der Beachtung humanitärer Mindeststandards zu überzeugen und sich in den Abkommen von Madrid (Republikaner) und Burgos (Nationalisten) auch verbindlich zu deren Einhaltung zu verpflichten. Gerade für die legitime republikanische Regierung in Madrid war diese indirekte Anerkennung der Putschisten als Gegner, die jedenfalls unter humanitären Gesichtspunkten als gleichwertig zu behandeln waren, alles andere als eine Selbstverständlichkeit: ein Beispiel, das leider viel zu selten Schule macht. Oder hätte man sich nach 9/11 Ähnliches im Verhältnis von USA und Taliban vorstellen können? Auf unorthodoxem Wege war damit jedenfalls für den konkreten Konflikt auch eine völkerrechtlich tragfähige Basis für das humanitäre Engagement des Roten Kreuzes geschaffen worden. In einer beispiellosen Pendeldiplomatie, bei der mehr als einmal die Grenzen des nach wie vor engen Mandats nicht nur bis aufs Äußerste strapaziert, sondern mit lutherischer Standfestigkeit («Hier stehe ich, ich kann nicht anders») auch immer wieder bewusst überschritten wurden, erarbeiteten sich der «Chefgesandte» aus Genf und die anderen Schweizer Delegierten samt ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einen Respekt, der nicht nur zahlreichen Konfliktopfern Leben und Freiheit schenken sollte. Auch das Gesamtbild des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in der Öffentlichkeit sollte durch diesen Einsatz in nachhaltiger Weise positiv geprägt werden.
Die ausgedehnte Schutz- und Hilfstätigkeit des IKRK im SpanischenBürgerkrieg machte eindringlich deutlich, dass angesichts immer komplexerer und langwierigerer Konfliktszenarien erfolgreiche Rotkreuzarbeit ohne einen ständigen Mitarbeiterstab nicht länger möglich sein würde. Auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene galt: Bestens ausgebildete, hoch motivierte und bis an die Grenze der Selbstaufgabe engagierte Männer und Frauen würde man ohne professionelle Rahmenbedingungen nicht dauerhaft an das Rote Kreuz binden können. Menschen wie Marcel Junod, die bereit und in der Lage waren, sich zeitlich befristet aus ihrem eigentlichen beruflichen Umfeld zu lösen und als Freiwillige der Aufforderung «Wir brauchen jemanden, der sich dorthin begibt, um nachzusehen, was sich machen lässt» (Max Huber), spontan Folge zu leisten, konnten nur Ausnahmeerscheinungen sein. Als die ersten beunruhigenden Nachrichten aus Spanien im August 1936 Genf erreichten, befand sich ebenjener Junod in der Tat nur ganz zufällig am Sitz des Internationalen Komitees, um dort vor der Rückkehr in sein «normales» Berufsleben als Krankenhausarzt über seine soeben abgeschlossene Mission im Abessinienkrieg Bericht zu erstatten. Nur mit Mühe konnte er dazu überredet werden sich unverzüglich erneut auf eine – so das Lockmittel des IKRK-Präsidenten Max Huber – doch nur ganz kurze Erkundungsmission auf die Iberische Halbinsel zu begeben: Aus dem ursprünglich auf maximal drei Wochen angesetzten Einsatz sollten drei lange Jahre werden.
Abessinienkrieg. Dabei hatte Junod nach seinem Äthiopieneinsatz wirklich allen Grund, sich nach seinem heimischen Arbeitsplatz – dem Spital in Mühlhausen – zu sehnen. Unter teilweise schwierigsten Umständen war er unmittelbarer Zeuge eines ungleichen Kampfes geworden, in dem das faschistische Italien bei seinem Überfall auf Äthiopien (1935/36) seine technologische Überlegenheit rücksichtslos ausnutzte. Flächenbombardements, die auch Wohnviertel und Sanitätseinrichtungen nicht aussparten, sowie Giftgasangriffe, bei denen schätzungsweise 15.000 abessinische Soldaten getötet oder verwundet wurden, waren nur die schlimmsten Auswüchse einer Kriegführung, die mitgeltenden Regeln des Kriegsvölkerrechts unvereinbar war. Dieser Konflikt stellte die Rotkreuzbewegung in mehrfacher Hinsicht vor eine schwere Bewährungsprobe. Zunächst einmal galt es Neutralität zu wahren in einem Konflikt, in dem die Frage der Kriegsschuld so eindeutig zu beantworten war. Dennoch, das Internationale Komitee bot seine Hilfe beiden Seiten gleichermaßen an, dem Aggressor ebenso wie dem Opfer. Das
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