Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Komitee vom Roten Kreuz die Auffassung, daß sich die Stimme des Roten Kreuzes diesmal öffentlich Gehör verschaffen muß. Unabhängig von allen Abkommen und Gesetztestexten appelliert es an das Gewissen der Völker.»
Eine in der Tat ungewöhnlich offene und klare Positionierung, die aber erneut auch schmerzhaft das Fehlen eines vergleichbaren Engagements zugunsten der Opfer des Holocaust in Erinnerung ruft. Unmittelbar nach dem Krieg sollten die Genfer Bemühungen um eine Einbeziehung der Zivilbevölkerung in das Schutzregime des Humanitären Völkerrechts dann Erfolg haben: wie so oft ein Krieg zu spät, aber immerhin.
In dieser rechtlich prekären Situation bewährte sich der Solidaritätsverbund Rotkreuzbewegung: Auf der Grundlage der Statuten von 1928 gründeten IKRK und Liga im Oktober 1940 eine gemeinsame Organisation zur Unterstützung der Zivilbevölkerung, das «Vereinigte Hilfswerk vom Internationalen Roten Kreuz». Durch die Einbindung ihres Dachverbandes waren auch die nationalen Rotkreuzgesellschaften in das umfassende Hilfsprojekt einbezogen, vor allem, aber nicht nur diejenigen aus neutralen Staaten: Schwedische Schiffe transportierten Hilfsgüter nach Griechenland, Spenden aus Lateinamerika, Ägypten, der Türkei und vielen anderen Staaten ermöglichten große Hilfsaktionen etwa zugunsten der von der deutschen Invasion betroffenen belgischen und französischen Zivilbevölkerung. Der deutschen Reichsregierung konnte schließlich sogar ein grundsätzliches Einverständnis zu Hilfslieferungen in alle besetzten Gebiete abgerungen werden. Die Verteilung der Hilfsgüter, die sich einschließlich der unmittelbaren Nachkriegszeit auf über 165 Millionen Tonnen summierte, oblag den nationalen Gesellschaften und dort, wo die Besatzungsmacht Deutschland eine solche nicht anerkannte (etwa in Polen), dem Deutschen Roten Kreuz.
Ein erfreuliches Zeichen humanitärer Normalität im Grauen des Kriegsalltags setzten schließlich auch Millionen Freiwilliger, die in allen kriegführenden Staaten im Dienste der nationalen Rotkreuzgesellschaften unter oftmals widrigsten Bedingungen nicht nur ihrer alten Rotkreuzkernaufgabe, der Unterstützung des Sanitätsdienstes ihrer Heimatstaaten, nachkamen, sondern sich «im Dienste der Menschlichkeit» vielmehr auch vielen weiteren humanitären Aufgaben widmeten.
Die vielfältigen Koordinierungsaufgaben der Genfer Zentrale sowie die Präsenz vor Ort durch bis zu 179 Delegierte und verschiedene Spezialmissionen ließen die Zahl der Mitarbeiter des IKRK im Verlaufe des Krieges auf über 3000 ansteigen, mit entsprechenden Konsequenzen für den Finanzbedarf. Dieser – und daran sei an dieser Stelle ausdrücklich erinnert – wurde in erster Linie aus der Schweiz gedeckt, durch Spenden von Bürgern, Industriellen und Zuwendungen des Staates sowie der Zentralbank.Aber auch die ungeachtet der Kriegssituation nach wie vor geleisteten Beiträge nationaler Gesellschaften und ausländischer Regierungen sicherten dem IKRK das Überleben. Am Ende des Krieges verblieb sogar ein geringfügiger Überschuss, der indes rasch für die Linderung der humanitären Notlage in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgebraucht wurde.
Der Eurozentrismus der vorangegangenen Ausführungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rotkreuzbewegung auch auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz mit Delegationen und Hilfsleistungen präsent war, wenn auch aus logistischen, vielleicht aber auch kulturell bedingten Gründen noch in deutlich begrenztem Umfang. In Kriegsgefangenschaft zu geraten etwa galt im fernöstlichen Kulturkreis verbreitet immer noch als Schande und so befanden sich Ende 1944 nur erstaunliche 6400 Japaner in der Hand der Alliierten. Und auch diese weigerten sich aus Rücksicht auf ihre Familien vielfach, ihre Identität gegenüber Rotkreuzvertretern preiszugeben. Auf der anderen Seite begegneten Rotkreuzvertreter bei ihrem engagierten Einsatz für die über 100.000 alliierten Kriegsgefangenen teilweise erheblichem Misstrauen. Der IKRK-Delegierte in Borneo, Matthaeus Vischer, bezahlte sein unnachgiebiges Drängen, Zugang zu alliierten Kriegsgefangenen zu erhalten, sogar mit dem Leben. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er als (angeblicher) Spion standrechtlich erschossen.
7. Das Rote Kreuz vor den Herausforderungen der Nachkriegszeit
Humanitäre Herausforderungen. Für die humanitäre Arbeit der Rotkreuzbewegung bedeutete das Jahr 1945 keine Zäsur: Hunderttausende Kriegsgefangene und DPs
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