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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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(Zwangsverschleppte/Displaced Persons) galt es zu betreuen und, wo immer möglich, zu repatriieren, materielle und medizinische Hilfe für die in weiten Teilen des Kontinents notleidende und von Epidemien bedrohte Zivilbevölkerung bereitzustellen. Und schließlich galt es auch zu verhindern, dass die Europa und später den indischen Subkontinent in einem bisher unbekannten Ausmaß überschwemmendenFlüchtlingswellen in einer humanitären Katastrophe mündeten. Besonders prekär war die Situation in Deutschland, existierte hier doch weder eine funktionierende Staatsgewalt noch eine nationale Rotkreuzgesellschaft. Und so übernahm das Genfer Komitee sowohl hinsichtlich der deutschen Kriegsgefangenen als auch der über sechs Millionen Ostflüchtlinge eine Art inoffizielle Schutzmachtstellung. Die mehr als 40.000 Seiten starken Berichte des IKRK über die Besuche bei deutschen Kriegsgefangenen legen nicht nur Zeugnis ab von einer regen Betreuungstätigkeit. Im zähen Ringen mit den Alliierten gelang es dem IKRK vielmehr auch, für die vielen tausenden erst nach Kriegsende in Gewahrsam genommenen und damit formalrechtlich nicht vom Schutz der Genfer Konvention erfassten Soldaten (sog. SEP/Surrendered Enemy Personnel) einen der Kriegsgefangenschaft gleichwertigen Status zu erwirken. Ähnliches gelang auch für über drei Millionen Japaner, die erst nach dem Waffenstillstand in Fernost in alliierte Gefangenschaft geraten waren.
    Motor des Humanitären Völkerrechts. Das Beispiel der SEP veranschaulicht eine zweite Funktion, die das IKRK nach 1945 zunehmend selbstbewusst in Anspruch nehmen sollte: Es fungierte als Motor der Fortentwicklung des Humanitären Völkerrechts. Und ein solcher wurde damals aus mindestens zwei Gründen auch dringend benötigt. Erstens hatten die vorangegangenen Kriege schwere Defizite des humanitären Regelwerks aufgezeigt: Der mangelnde Schutz der Zivilbevölkerung sowie das völlige Fehlen eines Schutzregimes für die in der Praxis immer häufigeren Fälle, in denen Konflikte innerhalb eines Staates mit Waffengewalt ausgetragen wurden, waren nur zwei der besonders eklatanten normativen Lücken. Zweitens aber war auch kein Akteur in Sicht, der sich dieser dringenden Aufgabe annehmen konnte und wollte: Vergleichbar ein wenig mit der Situation nach dem Ersten Weltkrieg gab sich auch die Nachfolgerin des Völkerbundes, die Vereinten Nationen (UNO), zunächst der Hoffnung (oder wohl besser der Illusion) hin, die Geißel des Krieges nun endgültig überwunden zu haben. Angesichts des anprominenter Stelle in der UNO-Charta von 1945 normierten Gewaltverbots (Art. 2 Ziff. 4) in gewisser Weise konsequent, aber eben auch ein wenig realitätsfern nach dem Motto, «was nicht sein darf, das nicht sein kann», verweigerte sich die UN-Völkerrechtskommission der Mitarbeit an einer Aktualisierung des Humanitären Völkerrechts. Und so blieb es denn den pragmatischen Idealisten in Genf vorbehalten, noch während des Krieges (Memorandum vom 15. Februar 1945) einen Kodifikationsprozess anzustoßen, der vier Jahre später mit der Annahme der vier Genfer Abkommen (1949) seinen erfolgreichen Abschluss finden sollte.
    Die bestehenden Regeln zum Schutz der Verwundeten (Abkommen I und II) und Kriegsgefangenen (Abkommen III) konnten im Lichte der jüngsten Kriegserfahrungen grundlegend überarbeitet und um ein völlig neues, 150 Artikel umfassendes Regime zum Schutz der Zivilbevölkerung ergänzt werden (Abkommen IV). Erstmals explizit anerkannt wurde schließlich, dass auch Konflikte unterhalb der Schwelle des zwischenstaatlichen Krieges (insbesondere also Bürgerkriege) in den Anwendungsbereich des Humanitären Völkerrechts fallen konnten und den Opfern dieser «kleinen Kriege» die Beachtung fundamentaler Grundsätze der Menschlichkeit garantiert werden sollte (gemeinsamer Artikel 3 der Genfer Abkommen). Und schlussendlich hat die Konferenz, die in guter alter Tradition von der Schweiz als «Sachwalterin der humanitären Abkommen» für den 21. April 1949 nach Genf einberufen worden war, dann doch noch den Krieg abgeschafft – zumindest terminologisch: Der in einem jahrhundertelangen Prozess in sehr formalistischer Weise verdichtete Kriegsbegriff hatte dazu geführt, dass zahlreiche Konflikte mit Millionen von Toten mangels «Kriegserklärung» formaljuristisch gar nicht stattgefunden hatten: Stattdessen gab es «Polizeiaktionen», «Strafexpeditionen», «bewaffnete Repressalien» oder «es wurde

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