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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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helle und gut durchlüftete Baracken […] besser und bequemer eingerichtet als die der Wachmannschaft» – «Die Häftlinge können ihre Freizeit beliebig verbringen (verschiedene Spiele, Sport, Lektüre)» – «Brot […] ist von ausgezeichneter Qualität» – «Kantine alles sehr schön eingerichtet […] reiches Angebot» und auf die Frage nach der durch Presseartikel kolportierten schlechten Behandlung: «Die Antwort war, daß es verboten sei, sich an den Häftlingen zu vergreifen. Wenn ein wachhabender Soldat einen Häftling schlägt, wird er streng bestraft und aus der SS ausgestoßen.» War dieses Idyll nur das Ergebnis eines geschickten Täuschungsmanövers oder wollte man vielleicht auch gar nicht so ganz genau hinsehen, um sich Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime zu ersparen, die man in Genf von vorneherein als fruchtlos, ja kontraproduktiv für die Erfüllung der zentralen Rotkreuzaufgaben ansah?
    Es steht heute fest, dass das IKRK jedenfalls in groben Zügen schon frühzeitig über die Vernichtungslager und den Massenmord an den Juden informiert war. So übermittelte der IKRK-Chefdelegierte in Berlin, Roland Marti, Zahlen («60.000 inLettland ermordete Juden») und Orte (u.a. «Auschwitz»), an die etwa 10.000 Berliner Juden deportiert worden seien: «Man nimmt an, dass sie heute tot sind.» Echte Konsequenzen zog man in Genf aus diesen dramatischen Informationen keine:
    «Wir danken Ihnen vielmals für Ihre oben genannte Notiz betreffend die Lage der Juden in Berlin. Es ist besonders wertvoll für uns, die Orte zu erfahren, an die die Deportierten gebracht werden, und wir bitten Sie, uns diese auch in Zukunft wissen zu lassen, wenn Sie sie zufällig erfahren.»
    Mit diesem Schreiben vom 30. April 1943, einer letztlich unerhört emotionslos-bürokratischen Reaktion, blieb das IKRK einer Linie treu, die es – nach lebhaften internen Diskussionen – im Oktober 1942 auch gegenüber einem geplanten öffentlichen Appell zugunsten der Zivilbevölkerung eingenommen hatte. Gegen einen solchen Appell spräche, dass er keine praktische Wirkung erwarten lasse, aber gewisse Beziehungen gefährden könne; dafür der Wunsch des IKRK, seine humanitären Prinzipien zu verteidigen. Obwohl sich die Mehrheit des Komitees zunächst für einen in der Sache zwar deutlichen, in der Form aber doch sehr gemäßigt formulierten und zudem neutral an alle Kriegführenden gleichermaßen gerichteten Appell ausgesprochen hatte, setzte sich nicht zuletzt durch die mehr oder minder diskrete Einflussnahme bestimmter der Schweizer Bundesregierung besonders nahestehender Mitglieder letztlich die erstere Position durch. Ein Appell unterblieb.
    Immer wieder ist geltend gemacht worden, dass Hilfe für die bedrohten Juden, aber auch andere rassisch oder aus sonstigen Gründen verfolgte Personengruppen nicht vom völkerrechtlichen Mandat der Genfer Konventionen umfasst gewesen sei. Dieses Argument für Zurückhaltung und Untätigkeit ist formaljuristisch nicht zu bestreiten, verliert aber dadurch deutlich an Überzeugungskraft, dass in dem Moment, als ein Ende der Naziherrschaft endgültig absehbar war (Winter 1944/45), nunmehr ohne übertriebene Rücksicht auf die Grenzen des Mandats auch vom IKRK deutlich mutigere Schritte zum Schutzaller Opfergruppen unternommen wurden. In der Endphase des Krieges trugen IKRK-Aktivitäten denn auch tatsächlich dazu bei, viele Tausend Menschen vor dem Tod zu retten; die Rolle des IKRK-Delegierten Louis Haeflinger bei der Befreiung des Lagers Mauthausen ist hierfür nur ein Beispiel. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass auch die Regierung in Bern, zu dessen Politik das Genfer Komitee im Verlaufe des Krieges in zunehmende Abhängigkeit geraten war, die humanitäre Dimension des Problems erst in dem Moment als solche deutlich benannte und entsprechend aktiver wurde, als das Deutsche Reich keine militärische Gefahr mehr für sie darstellte und man nunmehr realpolitisch-opportunistisch ganz offen zur Erkenntnis gelangte: «Wenn wir dazu beitragen, eine beachtliche Zahl von Unglücklichen zu retten, liefert uns das ein entscheidendes Argument für die Verteidigung unserer Neutralität.»
    Durch eine allein dem Humanitätsgedanken verpflichtete kreativ-weite Auslegung ihres Mandats, wie sie auch in vorangegangenen Konflikten immer wieder praktiziert worden war, haben sich einzelne IKRK-Delegierte – teilweise auch gegen den ausdrücklichen Willen der Genfer Zentrale – dennoch nicht gescheut,

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