Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
getan haben, und sie hatte ihnen Hedwigs Tod längst verziehen. Als ich ihr vorwarf, dass sie sich an unserer Tochter vergangen hätten, antwortete sie nur, dass jedes ihrer Kinder – sie meinte die Kinder der Ordensmitglieder – durch Schmerz und Angst gehen müsse, um wiedergeboren zu werden, und manche auserwählt seien, mehr zu leiden, um zu etwas Großem zu werden. Stellen Sie sich vor, sie hätte ein weiteres Kind gehabt und dem wäre das Gleiche angetan worden! Ich konnte sie nicht einfach wegjagen oder mich von ihr scheiden lassen, ich musste sie umbringen.»
Borghoff drehte sich noch einmal um. «Sie haben einen Mord begangen, Doktor. Und Sie haben keinem einzigen Kind damit geholfen.» Damit ging er hinaus.
3. Kapitel
Lina war fast schwindelig geworden im Büro des Bankiers Goldstein, als dieser ihr erklärt hatte, dass die Obligationen inzwischen mehr als das Doppelte wert waren und dass sie außerdem demjenigen gehörten, der die Papiere vorweisen konnte.
Die Frage des Bankiers klang noch in Linas Ohren, als sie wieder auf dem Heimweg war: «Die Obligationen müssen bald eingelöst werden. Was wollen Sie also damit tun?»
Ja, was wollte sie mit der unglaublichen Summe von rund einundzwanzigtausend Thalern machen? Ihr Vater hatte offensichtlich gewollt, dass sie das Geld bekam, und die Obligationen deshalb vor ihrem Bruder in dem Atlas versteckt. Ihr kam in Erinnerung, mit wie viel Nachdruck er ihr den Atlas übergeben hatte. Es war sein Wille gewesen, dass sie und nicht Georg oder die Firma dieses Geld bekam. Andererseits wäre diese hohe Summe für Georg Anlass genug, seine Vormundschaft über sie erneut nachdrücklich zu beanspruchen und ihre mühsam aufgebaute kleine Eigenständigkeit wieder zu zerstören.
Sie hätte die Angelegenheit gern mit Guste besprochen, aber dann besann sie sich anders. Immerhin war die Firma auch Gustes Existenz, und Lina war sich nicht sicher, ob die Schwester nicht das Wohlergehen der eigenen Familie über Linas gestellt hätte. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg zu Cornelius von Sannberg.
Der Baron begrüßte sie mit einem Lächeln. «Irgendetwas ist mit Ihnen geschehen, Lina. Ich weiß, dass Sie sich Sorgen machen wegen des verschwundenen Kindes, aber Sie wirken auf mich gar nicht sorgenvoll, sondern sehr gelassen und … entschuldigen Sie, wenn ich so direkt werde – schöner denn je.»
Augenblicklich wurde Lina rot, sie konnte spüren, wie ihre Wangen heiß wurden. Konnte man ihr wirklich ansehen, was letzte Nacht geschehen war? Und dann begann sie auch noch zu stottern. «Ich … ich … – etwas Unglaubliches ist passiert!» Lina war froh, dass ihr Verstand so schnell wieder das Ruder übernahm. Der Baron führte sie in den Salon, und sie erzählte ihm von Finchens Fund.
Aufmerksam hörte er ihr zu.
«Steigen Sie in das Geschäft ein», schlug er vor. «Sie bewahren Bruder und Schwager vor einem schweren Rückschlag und verhindern, dass von Müller zu viel Macht in die Hand bekommt.»
Lina schüttelte den Kopf. «Das ist keine Lösung. Georg betrachtet meinen gesamten Besitz als sein Eigentum. Ich hätte nichts davon, wenn er die möglichen Gewinne einbehielte, um sie in die Firma zu stecken. Und wenn die Gießerei kein Erfolg wird, bin ich mit gefangen.»
Von Sannberg zündete sich eine Pfeife an. «Wenn alles so gelaufen wäre, wie Sie es sich damals, als Sie das Haus verließen, vorgestellt hatten, dann hätten Sie heute Ihr Erbe und Ihre jährliche Rente, oder?»
Lina nickte. «Fünftausend Thaler, hundertfünfzig Thaler Rente und dann noch jährlich hundertfünfundsiebzig Thaler aus Mutters Vermögen.»
«Jetzt könnten Sie dagegen mehr als zwanzigtausend Thaler haben, wenn Sie das Geld für sich behalten. Und hier ist noch ein Vorschlag: Ihr Bruder und Ihr Schwager brauchen etwa zehntausend, um bei der Kapitalaufstockung von Müllers mitzuziehen. Und sie brauchen das Geld dringend. Ich habe erfahren, dass sie jetzt mit Banken verhandeln, aber ein Kredit wäre keine wirklich gute Lösung für sie. Sie könnten ihnen gegenüber behaupten, nur diese Summe an Obligationen gefunden zu haben.»
Ein wenig reizte es Lina schon, ihren Bruder Georg auf diese Weise zu übervorteilen. Aber andererseits widerstrebte es ihrem gradlinigen Wesen. Was sie sich wirklich wünschte, war Frieden in der Familie – ihr Vaterhaus wieder betreten zu dürfen und mit dem Segen ihres Bruders ihrer Arbeit nachzugehen und für sich selbst zu sorgen.
So
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