Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Nach und nach brachen die einheimischen Frauen auf, aber keine stand Lina so nah, dass sie sich einfach anschließen mochte. Sie entschied sich, mit Mina zusammen zu gehen, wenn nötig, auch bis zur Carlstraße.
Doch sie hatte unterschätzt, wie sehr ihre Schwester Gefallen an dem Maler gefunden hatte. Als sie den Salon verließen, lief er ihnen scheinbar zufällig über den Weg. Sie begannen ein scherzhaftes Geplänkel, Lina stand unbeteiligt dabei.
«Sie werden doch zur Versammlung kommen, meine Liebe», sagte Reppenhagen plötzlich.
Lina zuckte zusammen. Ja, es war Reppenhagen, nicht der Maler, und auch er konnte anscheinend liebenswürdig sein, wenn er wollte. Lina bemerkte, dass er sie und nicht ihre Schwester dabei ansah.
«Das werde ich ganz sicher, lieber Herr Reppenhagen. Es war sehr beeindruckend beim letzten Mal.»
Lina traute ihren Ohren nicht. Mina war bei einer Versammlung gewesen? Mina gehörte zu ihnen? Sie hatte seine Verwandlung gesehen und kokettierte trotzdem mit diesem Monstrum?
Um den Mund Reppenhagens spielte ein zufriedenes Lächeln. «Ich wollte Ihnen doch meine neuesten Bilder zeigen …»
«O ja, gern. Auf mich wartet niemand.» Mina schenkte ihm ein reizendes Lächeln. «Geh doch schon vor, Lina. Aaltje wird sich sicher freuen, dich zu sehen.»
Da war keine andere Dame mehr, der Lina sich hätte anschließen können. Und Mina war nicht zu überreden, doch mit ihr nach Hause zu gehen. Nun schickte sie sie allein auf die dunkle Straße. Mina gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und folgte Reppenhagen dann in den ersten Stock.
Unschlüssig stand Lina an der Haustür. Dann atmete sie tief durch und ging hinaus.
Die wenigen Laternen gaben spärliches Licht. Lina nahm ihren Stock nicht wie sonst am Griff, sondern wie einen Prügel etwas tiefer, um für einen möglichen Überfall gewappnet zu sein. Der Weg von der Schulstraße zur Harmoniestraße war nicht weit, doch im Dunkeln, ohne die Hilfe ihres Stockes, musste sie noch langsamer gehen als gewöhnlich. Es dauerte nicht lange, da hörte sie schnelle Schritte hinter sich. Sie griff ihren Stock noch fester. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie vielleicht zum Haus ihrer Schwester gehen sollte, da hatten sie die Schritte schon eingeholt. Es war Hans Brecht, der sich breit grinsend vor sie stellte.
«Du wirst nirgendwo hingehen, Hinkebein.»
Noch bevor Lina schreien konnte, hatte er sie gepackt, ihr den Stock entwunden und weggeworfen. Als er seine schwielige Hand auf ihren Mund legte, begann Lina sich zu wehren. Sie biss ihm so kräftig in die Hand, dass er sie wegzog. Lina schrie aus Leibeskräften, aber er hatte sie schnell wieder gepackt.
Im nächsten Moment bogen Borghoff und Hinnerk Dehnen in die Schulstraße ein. Brecht versuchte, Lina weiterzuziehen und kam dabei an einer Laterne vorbei. Borghoff erkannte ihn sofort. «Hans Brecht!», schrie er. «Lass sie sofort los.»
Brecht überlegte nur eine Sekunde, stieß Lina dann weg, sodass sie zu Boden ging, und begann dann zu rennen. Ohne sich lange verständigen zu müssen, folgte Hinnerk Dehnen dem Kutscher, während Borghoff sich um Lina kümmerte.
«Mir ist nichts passiert, Robert.»
«Gott sei Dank.» So, wie er sie ansah, hätte er sie am liebsten in den Arm genommen.
«Ich bringe Sie nach Hause, Fräulein Kaufmeister.»
Sie sah sich nach ihrem Stock um, dann gingen sie nebeneinander, aber in züchtigem Abstand in Richtung Harmoniestraße.
«Hast du den Jungen gefunden?», fragte sie.
«Nein. Aber mit Franz Haniel auf unserer Seite konnten wir den Bürgermeister endlich davon überzeugen, etwas zu unternehmen. Ich muss gleich zurück zu Haniels Haus.»
Sie waren vor Dahlmanns Laden angekommen. «Ich werde auf dich warten», flüsterte sie und sagte laut: «Danke, Herr Commissar.»
«Gern geschehen, Fräulein Kaufmeister.»
Erst spät, so etwa gegen zehn Uhr, kam Robert schließlich nach Hause. Er klopfte an Linas Tür. «Komm gleich zu mir hinauf», sagte er nur. Dann stieg er nach oben in seine Mansarde.
Dort war es bitterkalt. Während er den Ofen anheizte, dachte er an den Abend im Hause Haniel zurück. Als er nach dem Zwischenfall mit Lina zurückgekehrt war, hatte sich die Runde inzwischen darauf verständigt, dass den Mitgliedern des Ordens vor allem das Geschäftsleben so schwer wie möglich gemacht werden sollte. Franz Haniel wollte seinen ganzen Einfluss nutzen, um Wienhold, von Müller und ihren Freunden Steine in den Weg zu legen. Weinhagen
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