Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Hausdiener Heinrich. Peter, den Kutscher und Stallknecht, kennt ihr ja bereits.»
Die Jungen gaben dem Personal artig die Hand. Dann öffnete Lina die Tür zur Speisekammer. «Das hier wollte ich euch zeigen. Damit ihr euch keine Sorgen machen müsst.»
Staunend standen die Jungen vor zwei großen Brotlaiben, einem riesigen westfälischen Schinken, vielen Eiern, Mehl und anderen Vorräten. «Und jetzt gehen wir in den Keller.»
Obwohl die steile Treppe für Lina sehr beschwerlich war, brachte sie die Jungen hinunter in den Keller, um ihnen die Sauerkrautfässer, die die Kappusschaber befüllt hatten, die eingelegten Bohnen, die Äpfel, Birnen, Zwiebeln und Kartoffeln, Karotten und den Sellerie zu zeigen und was immer die Köchin sonst noch eingekocht, eingelegt, gedörrt und in Dosen eingemacht hatte.
«Hier gibt es immer genug zu essen. Und wenn ihr etwas möchtet, braucht ihr nur die Köchin oder eines der Mädchen zu fragen. Habt ihr das verstanden?»
Emil nickte. Josef sah sie ungläubig an. «Immer, wenn wir etwas möchten?»
«Ja. Bei uns leidet niemand Hunger.»
«Darf ich dann einen Apfel haben?», fragte Emil.
«Hier.» Lina griff zwei Äpfel und gab jedem einen. Dann stiegen sie wieder hinauf.
Mina hatte dem Vater einen kurzen Besuch abgestattet und war entsetzt über seinen Gesundheitszustand. Die Jungen sollten erst in den nächsten Tagen zu ihm, wenn man sie schonend vorbereitet hatte.
Schließlich hatte Mina gegen fünf Uhr darum gebeten, bald schlafen gehen zu können, weil sie in der Nacht im Zug und am Bahnhof in Aachen kein Auge zugetan hatte. Die Jungen spielten oben im Kinderzimmer mit Karls Soldaten.
Lina begleitete ihre Schwester in das Gästezimmer im ersten Stock. «Es ist klein, aber du hast alles, was du brauchst.»
Sie öffnete geschäftig die Reisetasche und erschrak. Es waren nur ein weiteres Kleid, zwei Anzüge für die Jungen und etwas Unterwäsche darin.
Mina setzte sich auf das Bett. «Ich habe nicht einmal ein Nachthemd, geschweige denn welche für die Jungen …», sagte sie leise, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Zuletzt habe ich alles verkauft. Jedes gute Kleidungsstück, jedes Paar Schuhe, all meinen Schmuck bis auf Mutters Medaillon, die paar Möbel, die wir hatten …»
Lina setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. Erschrocken stellte sie fest, wie knochig Mina war. «Jetzt wird alles gut, Mina. Jetzt bist du wieder zu Hause.»
Eine Weile wiegte sie die schluchzende Schwester, bis diese sich langsam wieder beruhigte. «Ich gebe dir eines von meinen Nachthemden. Es ist zu kurz, aber das wird ja gehen.»
Mina nickte und lächelte mit verheulten Augen.
«Für die Jungen organisiere ich auch etwas. Josef ist ja recht klein für sein Alter, da wird ihm sicher etwas von Karl passen, und für Emil werde ich Aaltje um einen Anzug von Georg bitten, den wir ändern. Kleider für dich könnten schwieriger werden. Guste ist zu groß, ich bin zu klein, und Aaltje ist zu dick. Aber ich richte das schon. Du brauchst an gar nichts zu denken, du musst dich nur ausruhen und wieder zu Kräften kommen.»
Lina ging hinüber in ihr Zimmer, um ein Nachthemd zu holen, und warf einen Blick in Aaltjes kleinen Salon. Dort saß die Schwägerin an ihrer Stickarbeit. Sie erklärte ihr, was sie brauchte. Aaltje nickte und stieg rasch nach oben. Kurz darauf kam sie mit einem ganzen Bündel von Kleidern über dem Arm wieder herunter: zwei fast neue Anzüge ihres Sohnes, einer ihres Mannes, Nachthemden und einer ihrer Röcke. «Das ist ein ganz einfacher Rock, den werden Sie schnell ändern können, Schwägerin», sagte sie, als sie ihn Lina in die Hand drückte.
«Wissen Sie, ich war dagegen, dass Mina herkam, weil mein Ehemann dagegen war. Aber jetzt, wo ich sie gesehen hab, weiß ich, dass es richtig war, sie herzuholen. Sie ist so mager, sie ist zo mager und zo bleek als een teringleider. Ich dachte, dünner als Sie könnte man nicht sein …»
Dass Aaltje Mina mit einer Schwindsüchtigen verglich, tat weh, aber sie hatte durchaus recht damit. Lina nahm auch die Sachen. «Danke, liebe Schwägerin.»
«Wir müssen sie alle schnell wieder zu Kräften bringen», rief Aaltje ihr nach.
Lina brachte der Schwester das Nachthemd, legte die Sachen über den Stuhl.
«Vielen Dank», sagte Mina.
Lina sah sie an. «Mina, hast du noch Schulden in Brüssel?»
Die Schwester nickte bedrückt. «Bei sehr lieben Menschen. Und auch bei ein paar unangenehmen.»
«Morgen musst du
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