Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hängen. Doch dann nahm Madame Allenberg plötzlich die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Bildete sich Lina das nur ein, oder wurde die Französin blass?
Doch bevor sie nachfragen konnte, kam Frau Erbling wieder zurück. «Entschuldigen Sie, meine Lieben, aber meine kleine Hedwig musste getröstet werden.»
«Hat sie sich schlimm verletzt?», fragte Lina.
«Nein, nein, als erst das Blut weggewischt war, war alles halb so schlimm. Jetzt hat der Papa ihr die Wunde gesäubert und einen Verband gemacht, und alles ist wieder gut.» Sie sah auf den Tisch. «Oh, Sie haben Fräulein Kaufmeister die Karten gelegt!»
«Nur so zum Zeitvertreib», sagte Madame Allenberg und raffte schnell die Karten zusammen. «Nun bin ich gespannt auf die Entwürfe.»
Lina schalt sich, dass sie die merkwürdige Beunruhigung der Kartenlegerin ernst nahm. Schließlich glaubte sie nicht an ihre Deutungen. Und die Aussagen über ihre Vergangenheit konnten reiner Zufall sein – oder wie die Dame selbst zugegeben hatte, Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen.
Das Mädchen brachte Tee, und Lina rollte ihre Zeichnungen auseinander.
Frau Erbling war sprachlos. Nicht dass sich Linas Entwurf sehr von der gängigen Mode unterschieden hätte, aber sie hatte in ihm viel von dem verwirklicht, was sie in all den Jahren des Nähens für ihre Familie praktiziert hatte. Das Ergebnis war ein Kleidungsstück für alle Gelegenheiten in Rot und Creme, Farben, die gut mit dem sattbraunen Haar der jungen Frau Erbling harmonierten. Oberteil und Rock waren nicht miteinander verbunden, der ein klein wenig höher angelegte Rockbund kaschierte das jedoch perfekt.
«Das Oberteil hat nur leicht über die Schulter gezogene Ärmel und ein tieferes Dekolleté – ideal für einen warmen Sommertag», erklärte Lina. «Dazu gibt es ein passendes Umschlagtuch, das die Oberarme verdeckt, wenn es nötig ist.»
«Das gefällt mir wirklich gut, aber ein Kleid nur für warme Tage?»
Lina lächelte stolz. «Natürlich nicht. Denn hier …» Sie zog das nächste Blatt hervor, das ein anderes Kleid zu zeigen schien. «Hier sind die langen Ärmel, die über ein ganz kurzes Leibchen, das auch das Dekolleté etwas verdeckt, miteinander verbunden sind. Das können Sie unter dem Oberteil an kühleren Tagen tragen. Und dann gibt es noch ein kurzes Jäckchen.» Lina zeigte ihr die nächste Zeichnung, die ein strenges, hochgeschlossenes Kleid zeigte.
Frau Erbling war verblüfft. «Das sind ja drei ganz verschiedene Kleider!»
«Besser», sagte Lina und präsentierte das letzte Blatt. «Eigentlich sind es sechs Kleider, denn der Rock besteht aus zwei Lagen, einem cremefarbenen Unterrock und zwei verschieden gearbeiteten Überröcken, der eine schlicht einfarbig Rot, der andere von Längsstreifen durchbrochen.»
Ihre Kundin schluckte. «Und das machen Sie alles für das verabredete Geld?»
«Die Materialkosten wären ein wenig höher, wegen der zusätzlichen Teile und vor allem wegen des aufwendigeren Rockes. Und ja, auch der Macherlohn ist ein wenig höher.»
«Ich werde mit meinem Mann sprechen.» Sie stand auf und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
«Das ist sehr beeindruckend», sagte Madame Allenberg, die interessiert zugesehen hatte.
«Was hat Sie eben so beunruhigt?», fragte Lina sie direkt, sobald Frau Erbling gegangen war. «Was sagen die Karten über meine Zukunft?»
Madame Allenberg lächelte ein wenig schief. «Da war sehr viel Gutes für Sie.» Sie deutete auf die Zeichnungen. «Das ist Ihre Zukunft. Sie werden sehr erfolgreich sein damit. Und viel Geld verdienen.»
Sie bemerkte, dass Lina mit der Antwort nicht sehr zufrieden war. «Es wird auch einen Mann geben für Sie. Sie kennen ihn bereits. Er ist von vornehmer Gesinnung und Herzensbildung. Einer, der mehr will als eine Haushälterin. Er ist älter als Sie.»
«Aber das hat Ihnen nicht die Farbe aus dem Gesicht schwinden lassen», sagte Lina ruhig. Spätestens jetzt wusste sie, dass die Aussagen der Kartenlegerin nur der übliche Unsinn waren.
«Es ist sehr viel Tod in Ihrer Nähe. Nicht der Tod Ihnen nahestehender Menschen, einfach nur der Tod.»
«Es hat Morde hier in Ruhrort gegeben. Ich habe zwei der Opfer gefunden und ein drittes indirekt auch. Man hat ihnen die Herzen herausgeschnitten und einer Mutter ihr ungeborenes Kind.» Lina wusste nicht, was sie dazu brachte, Madame Allenberg diese grausigen Einzelheiten zu erzählen.
Jetzt war diese wirklich sehr blass. «Seit wann geht
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