Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sehr verwirrt, als ich ihn fand.»
«Ja, es ist schlimm mit ihm in letzter Zeit», sagte Jutta knapp.
Lina spürte, das war kein guter Augenblick, um mit ihr darüber zu sprechen, ihren Sohn vielleicht nicht so rigoros wegzusperren.
Jutta führte sie in den Salon. Zu Linas Erstaunen saß dort ein Gast, aber man hätte eher vermuten können, dass der Mann ein Familienmitglied war, hätte er nicht so abenteuerlich ausgesehen.
Er hatte einen recht dunklen Teint und fast schwarze Augen. Das glattrasierte Gesicht trug einige tiefe Narben, nicht ganz so viele, als hätte er die Pocken gehabt. Das dunkle Haar war für einen erwachsenen Mann ganz ungewöhnlich lang, es fiel ihm über die Schultern. Er trug einen reichverzierten Hausmantel. Als er Jutta und Lina erblickte, stand er auf, und Lina konnte sehen, dass er mittelgroß war.
«Liebe Lina, darf ich dir unseren Hausgast Donatus Reppenhagen vorstellen? Er ist Maler und wird eine Weile hier bei uns leben.»
Reppenhagen stand auf und schüttelte Lina die Hand. «Donatus, das ist Fräulein Lina Kaufmeister, die begnadete Schneiderin, von der ich dir erzählt habe.»
«Also auch eine Künstlerin», sagte er, doch sein spöttisches Lächeln verriet, dass er anders darüber dachte.
Lina fühlte sich merkwürdig unbehaglich in seiner Gegenwart. Obwohl er – was sie als sehr unhöflich empfand – zu seiner Lektüre auf dem Sofa zurückkehrte und sie sich mit Jutta an den kleinen Spieltisch setzte, hatte sie das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Doch wann immer sie zu ihm hinübersah, schien er in sein Buch vertieft.
Jutta nutzte die Gunst der Stunde, um mit Lina noch ein paar weitere Schneiderarbeiten zu verabreden. «Nachdem du mir die schönen neuen Kleider gemacht hast, gefallen mir die alten gar nicht mehr. Deshalb habe ich beschlossen, meine Garderobe komplett zu erneuern. Nicht auf einmal, aber nach und nach. Wann kannst du zu uns kommen?»
Jetzt sah Reppenhagen wirklich von seinem Buch auf. «Wir haben viel vor in der nächsten Zeit, liebe Jutta, denkst du daran?»
«Aber natürlich. Lina ist eine liebe Freundin, doch wenn sie hier ist, ist sie ganz in ihre Arbeit vertieft, oben im Damensalon.» Sie wandte sich an Lina: «Donatus porträtiert die ganze Familie. Wir müssen alle Modell sitzen, einzeln und für ein Familienporträt.»
«Alle? Auch Anno?»
Reppenhagen war aufgestanden und kam zum Tisch herüber. «Sie wissen von Anno?»
Jutta sah verlegen zu ihm auf. «Wir können den Jungen nicht immer einsperren. Und es ist gut, dass sie ihn kennt, so konnte sie ihn heute nach Hause bringen.»
«Der Junge ist gefährlich», sagte Reppenhagen und sah Lina kalt an. «Sie sollten sich von ihm fernhalten.» Dann klappte er das Buch zu und verließ den Salon. Lina runzelte die Stirn. Es war seltsam – er hatte sich nicht wie ein Gast verhalten, sondern wie der Hausherr, und Jutta schien nichts dabei zu finden.
«Er ist ein Künstler, Lina, die haben oft Launen. Aber seine Bilder sind so gut, so lebendig und wirklichkeitsgetreu, ich möchte mich von niemand anderem malen lassen.»
«Vielleicht ist es wirklich besser, ich komme erst, wenn er euch wieder verlassen hat», sagte Lina unbehaglich.
«Aber Lina, er lebt jetzt hier. Er wird mindestens bis zum Jahresende bleiben. So lange kann ich nicht auf die neuen Kleider warten.»
Also willigte Lina ein, in der nächsten Woche wieder bei Wienholds einzuziehen.
5. Kapitel
Drömmer war tatsächlich gefasst worden. Eine Magd der Roten Katharina, deren Etablissement die größte Konkurrenz zu dem der dicken Martha war, hatte ihn unter ihrem Bett versteckt, doch eines der Schankmädchen hatte ihn verraten.
Nun saß er zusammengesunken im Gewahrsam. Er war immer noch sehr betrunken, und Borghoff hatte nicht den Eindruck, dass er wirklich mitbekommen hatte, was geschehen war. Kurz nach seiner Einlieferung hatte er die kleine Zelle vollgekotzt und sich eine Weile zusammengerollt, war dann aber aufgewacht und hatte lautstark nach Branntwein verlangt.
Borghoff hatte Schröder nach Duisburg zum Staatsanwalt geschickt, glaubte aber nicht, dass Rocholl noch kommen würde, denn es war bereits sieben Uhr. Trotzdem wartete er mit Ebel im Rathaus. Der Bürgermeister hatte sich kurz blicken lassen, um sich das «Monstrum», wie er Drömmer nannte, anzusehen, war aber dann zu seinem Stammtisch verschwunden. Bis morgen früh würde ganz Ruhrort von «seinem» Erfolg wissen, da war sich Borghoff sicher.
Er selbst ging
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