Das Rote Palais - Die Totenwächterin / Der Gottvampir / Die Schattenpforte: Special-eBook-Edition Trilogie (German Edition)
Motorik in Gang. Ohne darüber nachz u denken, hatte sie sich in Bewegung gesetzt und die schwere Tür aufgerissen, als bestünde sie aus Pappe. Erstaunlich, wie viel Kraft man aufbri n gen konnte. Ihre Beine trugen sie wie von allein durch den dämmrigen Gang. Die einzigen Geräusche, die sie vernahm, waren das Schma t zen ihrer Füße in ihren nassen Schuhen und ihr eigenes, unregelmäßiges A t men.
Unvorbereitet drang seine Stimme in ihren Kopf, sanft und bittend. Sie presste die Hä n de gegen ihre Schläfen, als wolle sie einen Migränea n fall vertreiben. Etwas in ihr sorgte dafür, dass sie seine Worte nicht verstand. Sie eilte voran und ließ sich von ihrem instinktiven Orientierungssinn treiben. Irgendwann trat Ruhe ein in ihrem Kopf, und gleichzeitig begann ihr Verstand, unbarmhe r zig zu arbeiten.
Sie hatte sich mit ihren Gefühlen zu weit vorgewagt, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie es um die seinen stand. Über E x klusivrechte hatten sie nie gesprochen. Das war schon in Bezi e hungen zu sterblichen Männern ein heikles Thema. Doch Rudger war ein Vampir, und sie b e fand sich auf unbekanntem Terrain, da konnte sie sich vieles noch so schönreden.
Sie war eine aufgeklärte, moderne Frau und hörte nicht gleich die Hochzeitsglocken, wenn sie eine Beziehung einging. Dennoch, w a rum um alles in der Welt, hatte er von ihr verlangt, dass sie zusah, wie er mit einer anderen Frau intim wurde? Denn das war es. Es war nichts and e res, als seinen Partner beim Sex mit einer Fremden zu beobachten. Es mochte tolerante Paare geben, die ein solches Erlebnis als besonderen Kick empfanden. Manche Beziehungen profitierten sogar von außerpartnerschaftlichen Ausflügen. Schön für sie, sollten sie alle ihren Spaß haben, doch Leyla g e hörte nicht dazu.
Als sie nach einer halben Ewigkeit den Aufzug erreichte, hoffte sie inbrünstig, dass Rudger auch diesen Sensor auf ihren Finge r abdruck eingestellt hatte. Der Gedanke an den Vertrauensbeweis, seinen Privataufzug benutzen zu können, zerriss ihr das Herz. Ihr M a gen war ein einziger, schmerzhafter Klumpen und erinnerte sie an das längst vergessene Gefühl von Liebeskummer. Sie legte ihren Finger auf den Sensor und wa r tete. Hinter ihr flackerten die Glühlampen. Sie fuhr herum und sah sich allein. Ohne Rudger wirkte der düstere Gang gespenstisch. Möglicherweise lag es auch an ihren überspannten Nerven. Eine klaustrophobe Panik kroch in ihr hoch. Sie wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab und zuckte zusammen, als die Aufzugstür sich hinter ihr öffnete.
Die neonbeleuchtete Kabine schien sie in die reale Welt zurückzuholen; wäre da nicht ihr leichenblasses Antlitz im Spiegel gew e sen. Selbst ihre Lippen waren blutleer, und ihre ve r quollenen Augen hoben sich dunkel ab. Es war ihr nicht aufgefallen, dass sie geweint hatte, doch auf ihren staubigen Wangen sah sie die Spuren von Tränen. Resolut rieb sie sich über ihr Gesicht und drückte dann die Taste zur sech s ten Etage. Zu gern wäre sie nach Hause gefahren und hätte sich leidend unter ihre Bettdecke verkrochen. Aber dort oben gab es Menschen, die ihre Hilfe benötigten. Wenn sie sich sofort darauf beso n nen hätte, wäre ihr einiges erspart geblieben. Sie war ein großes Mädchen und hatte schon Gefahren bestanden, unter denen die meisten Menschen ze r brochen wären. Bisher hatte sie sich noch von keinem Vampir unterkriegen lassen. Bisher. Sie atmete tief durch, warf ihrem Spiegelbild einen b e herzten Blick zu. Ein winziges Fünkchen Zorn flammte in ihr auf. Das war gut. Mit Zorn konnte sie besser umgehen, als mit Her z schmerz.
Die Ebene des Roten Palais lag wie ausgestorben vor ihr. Ein ungewoh n tes Bild für einen Ort des Amüsements, den sie bislang nur voller Vampire und Menschen gesehen hatte. Doch der Tag war bereits angebr o chen. Als Leyla Rudgers Büro betrat, fand sie den großen Raum in schläfriger Stille vor. Die Lampe auf dem Schreibtisch war eingeschaltet und beleuchtete eine ganze Reihe aufg e schlagener Bücher, meistens medizinische und psychologische Ratgeber. Zu ihrer Verwunderung handelte es sich nicht um vergil b te Exemplare aus vergangenen Zeiten, sondern um moderne Ausgaben. Rudgers Bibliothek war ausgespr o chen gut sortiert.
Von der Ledersitzgruppe in der Ecke drangen unregelmäßige Atemzüge. Während sie leise hinüber ging, wurden die Atemgerä u sche lauter und rassel n der. Das asthmatische Pfeifen überzog ihren Rücken mit einer
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