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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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entstiegen.
    »Was gibt’s Neues?«, fragte ich.
    »Ich wollte mir eine Zeitung holen, hab aber gleich mehrere mitgenommen, weil was über dein Verbrechen drinstand.«
    »Es ist nicht wirklich mein Verbrechen.«
    »Das ist wirklich erstaunlich. Eine Frau behauptet, sie könne den Mörder mit Hilfe von Kristallen finden. Eine andere glaubt, dass es was mit dem Mond zu tun hat.
    Außerdem gibt noch ein anderer Psychologe seinen Senf dazu. Hier ist ein Foto von ihm.« Sie hielt die Zeitung hoch. »Er erinnert mich definitiv an jemanden, aber mir fällt nicht ein, an wen. Das treibt mich in den Wahnsinn!«
    »Buster Keaton«, sagte ich.
    »Stimmt. Aber der ist doch schon tot, oder?«
    »Ich glaube schon. Außerdem ist es schon gute fünfundsiebzig Jahre her, dass er so ausgesehen hat.«
    Das war es also, was sie aus Terence und Bryony herausbekommen hatten. Gott, sie mussten wirklich verzweifelt sein.
    »Dich erwähnen sie allerdings nicht«, bemerkte Julie leicht enttäuscht. Vielleicht argwöhnte sie, dass ich das alles nur erfunden hatte – dass ich an den Ermittlungen gar nicht beteiligt war, oder bloß in einer ganz niederen Funktion. »Möchtest du es lesen?«
    »Ich glaube nicht.«
    Ich trank ein paar Schlucke Kaffee und zog mich rasch an. Es gab ein paar Dinge, die ich noch tun wollte. Sollte ich damit kein Glück haben, würde ich einen Schlussstrich unter die Sache ziehen und den Versuch unternehmen, wieder ein normaler Mensch zu werden. Jemand, der nicht ständig überall Muster sah, Gestalten in den Wolken.
    »Wir müssen reden«, sagte Julie, als ich an ihr vorbei nach draußen stürmte.
    »Später!«, rief ich und rannte die Treppe hinunter.
    Als ich vor die Tür trat, spürte ich sofort die Anwesenheit eines anderen Menschen. Ich konnte ihn fast riechen. Langsam drehte ich mich um.
    »Morgen, Kit.«
    Es war Doll, gefolgt von seinem Hund. Er trug dieselbe Jacke wie am Vortag und auch dieselbe Kopfbedeckung.
    Zusätzlich hatte er sich einen Schal um den Hals geschlungen und die Enden mit zwei extrem festen Knoten zusammengebunden. Wie würde er die jemals wieder aufbekommen? Und wie lange wartete er schon auf mich?
    »Michael«, sagte ich. »Was ist los?«
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Ist Ihnen doch noch was eingefallen?«
    »Ich muss einfach mit Ihnen reden.«
    »Ich bin sehr in Eile.«
    »Ich nicht.«
    Seine seltsame Antwort ließ mich mitten in der Bewegung innehalten. »Ich muss wirklich los«, sagte ich und setzte mich wieder in Bewegung, aber er ließ sich nicht abwimmeln. »Ich wollte Sie besuchen«, erklärte er.
    »Ich wollte Sie sehen.«
    »Wieso?«
    »Sie verstehen mich. Ich muss über ein paar Dinge reden.«
    Ich blieb wieder stehen. »Sie meinen, über die Morde?«

    Er schüttelte so heftig den Kopf, dass ich mich fragte, ob ihm das nicht wehtat. »Ein paar Dinge. Sie verstehen.«
    Ich versuchte, klar zu denken. Am liebsten wäre ich ihn für alle Zeiten losgeworden, aber vielleicht hatte er mir wirklich etwas Wichtiges zu sagen. »Michael, ich arbeite an diesen Mordfällen. Das wissen Sie. Wenn Sie mir dazu etwas mitteilen wollen, werde ich es mir anhören. Für alles andere habe ich im Moment keine Zeit.«
    »Warum?«
    »Weil ich so viel zu tun habe.«
    »Das ist alles, was Sie interessiert, stimmt’s? Sie kümmern sich nur um mich, weil Sie glauben, dass Sie von mir etwas Wichtiges erfahren können. Sie sind genau wie die anderen.«
    »Welche anderen?«
    »Das erzähle ich Ihnen später.« Er hatte inzwischen einen hochroten Kopf. »Das sage ich Ihnen, wenn mir danach zumute ist. Ich werde Sie im Auge behalten, Kit.
    Aber jetzt muss ich gehen. Ich habe nämlich auch viel zu tun, nicht nur Sie!«
    Und weg war er, leise vor sich hinmurmelnd und hektisch mit den Armen fuchtelnd. Ein junger Mann, der ihm entgegenkam, wechselte auf die andere Straßenseite.

    32. KAPITEL
    »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann«, erklärte Pam Vere. Sie hatte mir gegenüber auf einem Sessel Platz genommen, saß aber sehr aufrecht, die Hände fest auf die Armlehnen gepresst, als wollte sie jeden Augenblick wieder aufstehen und mir den Weg zur Tür zeigen.
    Ich saß in den Raum, wo sonst immer Philippa gesessen hatte. Das Licht flutete durch die Verandatüren herein. Die Blumensträuße, die bei meinem letzten Besuch auf jedem freien Fleck gestanden hatten, waren verschwunden. Die Menschen verloren schnell das Interesse. Nur eine einzelne Vase mit einem üppigen Strauß aus rosaroten und dunkellila

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