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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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waren: Klempner anrufen, Schuhbänder kaufen, Kühlschrank abtauen, Wagen in die Werkstatt bringen.
    Die nächste Seite war mit ziemlich gekonnt gezeichneten Früchten bedeckt. Die vierte Seite war leer, abgesehen von ein paar Londoner Telefonnummern, die Philippa ganz am Rand des Blattes notiert hatte. Auf die fünfte Seite hatte sie ein paar einzelne Worte gekritzelt, auf die ich nur einen schnellen Blick warf, während ich den Finger benetzte, um weiterzublättern. Wie vom Donner gerührt hielt ich mitten in der Bewegung inne.
    »Lianne«, stand da in krakeliger Schrift. Ich starrte auf die Buchstaben, wagte mich kaum zu bewegen, weil ich befürchtete, dass sie dann verschwinden oder zu einem anderen Wort verschwimmen könnten. Mein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an. Das Wort verschwand nicht, wie lange ich es auch anstarrte. Es hieß immer noch
    »Lianne«.
    Wie in Trance ließ ich den Blick nach unten wandern.
    Am unteren Rand der Seite stand, eingekreist von Fragezeichen und in etwas kleinerer Schrift, die trotzdem eindeutig die von Philippa war: »Bryony Teal«. Lianne und Bryony Teale, Letztere ohne das e am Ende. Philippa hatte die Namen der beiden anderen Opfer notiert. Da stand noch ein Name, neben den ein kleines Gänseblümchen gekritzelt war, ein Symbol für das Wort:
    »Daisy.«
    Ganz vorsichtig, als handle es sich dabei um eine Bombe, die jederzeit explodieren könnte, nahm ich den Notizblock heraus und ließ ihn in meine Tasche gleiten.
    Dann schloss ich die Schublade.
    Ich blieb noch eine Minute am Schreibtisch sitzen und starrte aus dem Fenster. Was ich gerade gesehen hatte, musste sich in meinem Gehirn erst einmal setzen. Eine kleine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne, sodass der Garten plötzlich im Schatten lag. Während ich weiter hinausschaute, kam Emily in Jeansshorts und einem gestreiften Topf auf den Rasen gelaufen, blieb dort stehen und rief ihrer Großmutter etwas zu, die sich noch im Haus befand. Auf einmal blickte sie hoch und sah mich am Fenster ihrer Mutter sitzen, und einen schrecklichen Moment lang strahlte ihr Gesicht vor überschwänglicher Freude, und sie streckte ihre Arme nach mir aus. Ihr Mund öffnete sich, um einen Namen zu rufen, ein Wort. Dann sank ihr kleiner Körper enttäuscht in sich zusammen, und sie ließ langsam die Arme sinken. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
    Ich stand auf und verließ den Raum, die Tasche mit dem kostbaren Inhalt über der Schulter. Das Einzige, woran ich denken konnte, waren die Namen in diesem Notizbuch.
    Und dass ich zu Bryony gesagt hatte, sie sei nicht in Gefahr.

    33. KAPITEL
    Ich rief in der Welbeck-Klinik an und gab Bescheid, dass ich nicht zur Personalversammlung kommen könne.
    Anschließend sagte ich mein Mittagessen mit Poppy ab.
    Während ich neben Oban im Auto saß, fluchte er schwitzend vor sich hin und erklärte mir zum hundertsten Mal, dass das Ganze verdammt noch mal keinen Sinn ergebe. Mit der Zeit empfand ich seine Stimme nur noch als monotones Brummen, genau wie den Verkehr draußen.
    Ich presste die Finger gegen meine Schläfen. Es musste eine Erklärung geben. Irgendwie gingen wir die Sache falsch an. Sobald es uns gelingen würde, sie von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten, würden wir sie anders sehen. All die Dinge, die jetzt keinen Sinn ergaben, würden plötzlich voller Bedeutung sein. Ich schloss die Augen und versuchte meinen Geist zu entspannen, damit sich der Knoten lösen konnte. Ich wartete auf die Erleuchtung, aber sie kam nicht. Entnervt stöhnte ich auf und rieb mir die Augen. Neben mir starrte Oban bedrückt vor sich hin. Er freute sich auch nicht auf diesen Besuch.
    Sein Handy klingelte. »Ja«, bellte er hinein. »Ja.
    Schießen Sie los.« Sein Gesichtsausdruck wechselte, und er lehnte sich leicht vor, während er mit der freien Hand das Lenkrad umklammerte. »Sagen Sie das noch mal! In Ordnung, ja, wir kommen in etwa einer halben Stunde zurück. Länger wird’s nicht dauern. Bis dann.«
    »Verdammt«, sagte er wieder einmal.
    »Was ist denn?«
    »Verdammt.«
    »Gut, aber was noch, Daniel?«

    Mit quietschenden Reifen hielt er vor dem Haus der Teales.
    »Sie glauben nicht, was ich gerade erfahren habe.«
    »Nun sagen Sie es mir endlich! Was ist denn?«
    »Dafür haben wir jetzt keine Zeit, ich erzähle es Ihnen später.« Sprach’s und sprang aus dem Wagen.

    »Nein«, flüsterte sie. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht.
    Ihre Augen wirkten plötzlich riesengroß

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