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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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und dunkel.
    »Nein!«, sagte sie noch einmal, diesmal lauter und in scharfem Ton, und dabei hob sie beide Hände an den Mund, als wollte sie beten. »Ich verstehe das nicht. Das kann doch nicht sein! Was hat das zu bedeuten?«
    »Das wissen wir noch nicht.« Ich warf einen raschen Blick zu Oban hinüber, um zu sehen, ob er meiner knappen Antwort noch etwas hinzufügen wollte, aber er saß reglos da und starrte auf seine auf dem Küchentisch ruhenden Hände hinunter, als versuchte er sich an ein Bruchstück aus einem Traum zu erinnern.
    Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, ließ dann aber den Kopf in die Hände sinken. Ihr prächtiges Haar hing wie ein Vorhang über ihr Gesicht. »Das kann doch nicht sein …«, hörte ich sie murmeln.
    Hinter uns auf dem Herd zischte etwas und kochte dann über. Der Geruch von verbrennendem Zucker erfüllte die Küche, aber Bryony rührte sich nicht von der Stelle. Oban erhob sich schwerfällig, nahm eine Pfanne von der Platte und kam dann wieder an den Tisch zurück, wo Bryony noch immer weit vornübergebeugt dasaß.
    »Eines der Opfer hat Ihren Namen aufgeschrieben«, erklärte ich. »Und trotzdem sagen Sie, Sie sind ihr nie begegnet?«

    »Bin ich auch nicht«, antwortete sie langsam. »Wirklich nicht.«
    Oban ließ nun seinerseits sein großes, müdes Gesicht in die Hände sinken.
    »Sind Sie sicher, Bryony? Man lernt so viele Leute kennen, vielleicht haben Sie nur ihren Namen nicht gekannt. Vielleicht hat sie Sie gekannt.«
    »Ich bin ihr nie begegnet. Glauben Sie denn, ich hätte mich nicht daran erinnert, nachdem so viel über sie in der Zeitung stand? Ich habe die Frau nie gesehen. Ich kenne ihren Namen erst, seit sie als Mordopfer berühmt geworden ist.«
    »Und Lianne?«
    »So glauben Sie mir doch endlich, ich bin ihr nie begegnet! Was soll ich Ihnen anderes sagen?« Ihre Stimme klang wie ein Heulen.
    »Sagt Ihnen der Name Daisy etwas? Daisy Gill?« Das kam von Oban, der plötzlich den Kopf gehoben hatte.
    »Nein! Nein! Wer ist das? Ein weiteres Opfer?«
    Schweigend reichte Oban ihr ein Foto, das ich noch nicht kannte. Wenn es nötig ist, kann die Polizei durchaus schnell arbeiten. Es zeigte ein Mädchen mit einem blassen, dreieckigen Gesicht und stacheligen schwarzem Haar und bestand eigentlich aus vier kleinen Fotos, wie man sie in diesen Fotokabinen mit Selbstauslöser aufnehmen kann.
    Auf dem ersten wirkte sie ernst. Zwischen ihren leicht geöffneten Lippen lugte ein abgeschlagener Zahn hervor.
    Auf dem zweiten grinste sie ein wenig und blickte zur Seite. Auf dem dritten kicherte Daisy und war ein Stück zur Seite gerückt, sodass links ein Streifen ihres Gesichts abgeschnitten war. Auf dem vierten war nur noch eine winkende Hand zu sehen.

    Bryony starrte eine Weile auf das Bild und schob es dann mit einem heftigen Kopfschütteln weg. »Nein«, stieß sie hervor, woraufhin sie in Tränen ausbrach. Ich beugte mich über den Tisch und nahm ihre Hand. Sie hielt sich daran fest, als würde sie ertrinken.
    »Trotzdem hat Philippa Burton Ihren Namen notiert, bevor sie starb«, sagte Oban ruhig, als würde er mit sich selbst sprechen.
    »Das habe ich verdammt noch mal schon begriffen!«, fauchte Bryony ihn an. »Ich habe Sie klar und deutlich verstanden. Tut mir Leid. Bitte entschuldigen Sie. Sie können ja auch nichts dafür. Das alles ist, gelinde ausgedrückt, ein ziemlicher Schock für mich.« Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und bemühte sich sichtlich um Haltung, indem sie sich aufrechter hinsetzte und das Haar hinter die Ohren strich.
    »Ich muss zusehen, dass ich das alles in den Griff bekomme. Soll ich Kaffee machen?«
    »Zu einer Tasse Kaffee sage ich nicht Nein«, antwortete ich. Oban lehnte dankend ab.
    Sie erhob sich mit einer anmutigen Bewegung. Sie trug einen langen schwarzen Baumwollrock und ein schwarzes T-Shirt. Wie beim letzten Mal hatte sie keine Schuhe an, sondern ging barfuß. Um ihren Knöchel hing ein silbernes Fußkettchen.
    »Geben Sie mir einen Augenblick Zeit, das Ganze zu verdauen«, sagte sie, während sie den Wasserkessel füllte.
    »Bitte.«
    Oban lächelte mich müde an und öffnete den obersten Knopf seines Hemds. Seine blauen Augen wirkten noch kleiner und heller als sonst, und er blinzelte ständig, als bekäme er dadurch einen klareren Blick. Sein wirres Haar war fettig, sein Gesicht unrasiert. Auf der Herfahrt hatte er sich zwischen zwei hektischen Handy-Gesprächen zu mir gedreht und gesagt: »Von

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