Das rote Zimmer
wissen.«
»Will?«
»Mmm.«
»Was ich gesagt habe …«
Aber er war bereits eingeschlafen. Sein müdes Gesicht wirkte plötzlich weicher. Ich blieb noch eine Weile bei ihm sitzen, dann stand ich auf, zog die Vorhänge zu und ging.
40. KAPITEL
Der Mann, mit dem ich verabredet war, ließ auf sich warten, deswegen holte ich mir ein Bier und stellte mich draußen auf die Treppe, um zu beobachten, wie die Theatergänger eintrudelten. Gabe Teales Theater, das Sugarhouse, war eine ehemalige Lagerhalle, die zwischen dem großen Gaswerk und dem Kanal auf einem Eisenbahngrundstück stand. Reste eines Gerüsts und Bautoiletten wiesen darauf hin, dass ein eiliger Umbau stattgefunden hatte, aber die Leute, die zum Teil schöne Abendgarderobe und hohe Absätze trugen, mussten noch immer zwischen Schutthaufen hindurchgehen, um zum Eingang zu gelangen. Bis zum West End war es zu Fuß nur eine Viertelstunde, aber man hatte den Eindruck, auf einem anderen Kontinent zu sein. Das mochte ich so an London. Egal, auf welch sicherem und vertrautem Terrain man sich zu bewegen schien, man war nie weiter als einen fünfminütigen Fußmarsch von Seltsamem entfernt.
Die ehrenwerten Bürger wanderten bis zum provisorischen Haupteingang, blieben dort fast ohne Ausnahme stehen, blickten sich einen Moment um und begannen dann mit kindlicher Freude zu lächeln, wahrscheinlich, weil sie etwas ihnen Vertrautes an solch einem ungewöhnlichen, fast schon unheimlichen Ort taten.
Oder es gewagt hatten, hierher zu kommen.
Die Leute im Eingangsbereich bewegten sich langsam zu ihren Platzen. Ich warf einen Blick auf meine Uhr.
Zwanzig nach. Er würde mich hoffentlich nicht versetzen.
Aber da war er auch schon, leicht keuchend. Als er mich erblickte, unternahm er einen ziemlich lächerlichen Versuch, im Zeitlupentempo zu joggen, um mir zu demonstrieren, wie sehr er sich beeilte.
»Ich komme doch nicht zu spät, oder?«, fragte Oban und blickte sich unsicher um.
»Wir haben noch ein paar Minuten. Soll ich Ihnen einen Drink holen?«
Er spitzte die Ohren. »Gibt’s hier eine Bar?« Als Antwort hielt ich mein Bier hoch. »Einen doppelten Scotch, bitte.«
Ich kämpfte mich durch die Menge. Als ich ihm schließlich seinen Drink in die Hand drückte, hatte bereits die Glocke geläutet. »Jetzt müssen wir uns aber sputen«, erklärte ich. Er kippte den Scotch in einem Zug hinunter.
»Das hab ich jetzt gebraucht«, erklärte er mit heiserer Stimme.
»Ich bin so was einfach nicht gewöhnt.«
»Ich auch nicht«, gab ich zurück. »Ich war schon seit Monaten, nein, seit Jahren nicht mehr im Theater. Ich habe mir nur gedacht, dass es nett wäre, sich das hier mal anzuschauen. Sozusagen als Abschlussfeier.«
Oban sah mich skeptisch an. »Ich glaube, mein letztes Mal war 1985. So eine Art Musical. Auf Rollschuhen.
Danach hatte ich nie wieder das Bedürfnis, in so was reinzugehen. Worum geht’s denn heute?«
Ich warf einen Blick auf das Programm. »Keine Ahnung«, antwortete ich. »Anscheinend hat es was mit der Geschichte der Gegend zu tun.«
Oban starrte wehmütig in sein leeres Glas. »Ich wusste gar nicht, dass die Gegend eine Geschichte hat, abgesehen von einer kriminellen.«
Eine Lautsprecherstimme verkündete, dass die Vorstellung gleich beginne. Wir begaben uns an unsere Plätze, aber wie sich herausstellte, gab es keine.
Markttag war ebenso wenig ein normales Theaterstück, wie das Sugarhouse ein normales Theater war. Man hatte eher den Eindruck, sich auf einem überdachten Volksfest zu befinden. Es gab Jongleure, Clowns, Artisten auf Stelzen, Redner, die auf Apfelsinenkisten Ansprachen hielten. Gruppen von Kindern spielten, sangen und schrien. Erwachsene unterschiedlichen Alters führten Sketche auf. Die Kostüme, die sie dafür brauchten, holten sie aus einer Kiste, die in der Mitte der Arena stand.
Überall war etwas los und man musste herumwandern, um möglichst viel mitzubekommen. Anfangs war ich leicht genervt, weil ich das Gefühl hatte, auf der anderen Seite der Halle etwas zu verpassen, aber nach einer Weile entspannte ich mich und behandelte das Ganze wie einen Spaziergang durch eine fremde, exotische Stadt. Oban murrte erst ein bisschen vor sich hin, dass das Stück ja gar keine richtige Handlung habe, aber dann wurde er plötzlich von einer bildhübschen jungen Zauberin aus der Menge gezogen. Sie fragte ihn nach seinem Namen und was er beruflich mache. Als er gestand, dass er Polizist sei, wurde das von den Umstehenden mit
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