Das rote Zimmer
Erwachsenenklamotten kostümierten. »Da werde ich nicht mithalten können. Ich glaube, ich gehe heute Abend lieber als Aschenputtel.«
»Macht dir das wirklich nichts aus?«, fragte Julie ein wenig bestürzt. »Möchtest du das Kleid doch lieber selbst anziehen? Bestimmt finde ich in meinen Sachen irgendwas anderes.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das Kleid gehört dir. Ich glaube nicht, dass es je wieder von mir getragen werden möchte.«
Anschließend probierte ich fünf verschiedene Kleider an.
Mir schwebte etwas mit einer raffinierten, subtilen Wirkung vor. Ich wollte einerseits nicht aussehen, als hätte ich mit großem Aufwand den ziemlich erbärmlichen Versuch unternommen, bei einer Einladung, die letztendlich nur ein zwangloses Abendessen war, großen Eindruck zu schinden. Andererseits wollte ich meine Gäste aber auch nicht mit allzu lässiger Kleidung beleidigen. Schließlich entschied ich mich für etwas Schlichtes, Schwarzes, das nicht allzu nobel wirkte, aber auch nicht aussah, als wollte ich zu einem Bauerntanz. Als ich aus dem Schlafzimmer trat, stieß Julie einen Pfiff aus.
Ich musste lachen. »Wahnsinn!«, sagte sie. »Du siehst einfach toll aus! Und das nennst du als Aschenputtel gehen?«
Ich stellte mich neben sie und drehte sie in Richtung des großen alten Spiegels an der Wand. Schulter an Schulter musterten wir unser Bild darin mit kritischem Blick. »Wir sind viel zu schön für diese Leute«, sagte ich. »Wir sollten lieber in eine Bar gehen, die so trendy ist, dass ich sie nicht mal dem Namen nach kenne.«
»Ich dachte, das wären deine besten Freunde«, wandte Julie ein.
»Nein, eher Leute, denen ich eine Einladung schulde.
Erinnerst du dich an diesen Detective, Oban?«
»Klar.«
»Er hält uns für Lesben.«
»Was?«
»Ich bin mir ziemlich sicher.«
Julie kicherte einen Moment, dann zog sie nachdenklich die Stirn kraus. »Wie kommt er darauf? Haben wir uns irgendwie so verhalten?«
»Ich glaube, es lag hauptsächlich daran, dass wir zusammen wohnen, du fürs Kochen zuständig bist und so.
Auf ihn hat das wohl wie ein gemütliches Liebesnest gewirkt.«
»Das ihn wahrscheinlich ziemlich anmacht.«
»Kann schon sein.«
Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu. »Die Vorstellung ist durchaus reizvoll«, meinte sie nachdenklich. »Bloß, dass es bei mir einfach immer Männer waren. Ich weiß auch nicht, warum.«
Es klingelte. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Eine Minute vor acht. »Wissen die denn nicht, dass acht neun bedeutet?«, sagte ich, während ich zur Tür ging. Es war Catey, begleitet von Alastair, der schüchtern hinter ihr stand. Catey trug ein hübsches grünes Kleid, Alastair Anzug und Krawatte. Er sah aus, als käme er gerade von der Arbeit. Nachdem sie mich auf beide Wangen geküsst hatten, überreichten sie mir eine Flasche Prosecco und einen großen Blumenstrauß.
»Ich habe schon so viel von dir gehört«, erklärte Alastair.
Was, hätte ich am liebsten geantwortet, könntest du schon von mir gehört haben? Stattdessen lächelte ich nur.
»Wir haben uns so viel zu erzählen«, meine Catey und stürmte die Treppe hinauf.
Mit ein wenig Improvisation reichte das, was wir uns zu erzählen hatten, gerade mal aus, um die acht Minuten zu überbrücken, bis Francis eintraf. Er trug ein weißes Hemd ohne Krawatte und einen Anzug, der so schrecklich aussah
– als wäre er aus irgendeinem Trevira-Ersatzstoff geschneidert, den man eine Woche draußen im Garten gelassen und dann nicht gebügelt hatte –, dass mir sofort klar war, dass er bestimmt mehr gekostet hatte als mein Auto. Er überreichte mir eine Flasche Champagner.
Neugierig blickte er sich im Wohnzimmer um.
»Das ist ein aufregender Moment für mich«, erklärte er.
»Dies ist also die Wohnung, in die Kit nie jemanden reinlässt.«
Catey und Alastair sahen sich mit neuem Interesse um.
Es war wie einer jener Momente in der National Gallery, nachdem man ein Gemälde im Vorbeigehen fünf Sekunden lang betrachtet hat, dann einen Blick in seinen Führer wirft und feststellt, dass es sich um das wichtigste deutsche Gemälde aus dem fünfzehnten Jahrhundert handelt, woraufhin man betroffen kehrtmacht und zu sich selbst sagt: »Wenn ich mir’s recht überlege …« Ich warf Julie einen schnellen Blick zu, mit dem ich ihr zumindest ansatzweise zu verstehen gab, dass dies genau genommen bloß die Wohnung war, in die ich Catey oder Francis nicht hineinließ.
»Ihr kennt euch alle noch nicht«, erklärte ich.
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