Das rote Zimmer
mal als junges Mädchen.«
»Was nicht notwendigerweise bedeutet, dass sie glücklich war«, bemerkte ich in neutralem Tonfall.
»Nein.« Sie streckte ihre Beine aus und bewegte die Zehen.
»Natürlich nicht. Aber sie schien mir immer ein sehr ausgeglichener Mensch zu sein. Nicht so launisch wie ich.
Ich bin wie ein Pendel. Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Sogar damals, als sie noch sehr jung war und ihre ersten Freunde hatte, verliebte sie sich nicht Hals über Kopf. Sie verliebte sich – langsam und geduldig, könnte man vielleicht sagen. Sie war gut darin, Dinge auf sich zukommen zu lassen. Allzu viele Männer gab es in ihrem Leben sowieso nicht. Sie war ein sehr ruhiger Typ.
Emily gegenüber hat sie nie die Beherrschung verloren, so wie ich oft bei Lara, meinem kleinen Äffchen. Philippa hat in energischem Ton mit ihrer Tochter gesprochen, das schon, aber bei ihr sind nie die Sicherungen durchgebrannt. ›Wie um alles in der Welt machst du das?‹, habe ich sie oft gefragt. Nun kann ich sie nie wieder etwas fragen. Ich werde mich nie daran gewöhnen.« Sie blinzelte mich mit ihren braunen Augen an, während ihr Tränen über die Wangen kullerten. Ich reichte ihr ein Taschentuch.
»Danke. Tut mir Leid.«
»Wie war ihre Beziehung zu Jeremy?«
»Nun, wie soll ich sie beschreiben? Ich und Rick, wir streiten uns manchmal, und dann versöhnen wir uns wieder. Aber sie und Jeremy haben nie gestritten. Sie sind sehr höflich miteinander umgegangen. Er hat ihr jeden Freitag Blumen mitgebracht, ohne es auch nur ein einziges Mal zu vergessen. Ist das nicht aufmerksam? Ich wünschte, Rick täte das auch. Ihre Lieblingsblumen waren gelbe Rosen und Wicken, obwohl man die im Blumengeschäft meist gar nicht bekommt. Sie war eine gute Gärtnerin – haben Sie ihren Garten gesehen? Ich glaube, Jeremy und Emily sind inzwischen in ihr Haus zurückgekehrt, nachdem sie ja eine Weile bei Philippas Mutter wohnten. Ich muss sie bald mal besuchen.
Jedenfalls habe ich die beiden nie miteinander turteln sehen – aber vielleicht war das einfach ihre Art. Ich meine, man weiß schließlich nie ganz genau, was im Leben anderer Leute vor sich geht, oder? Als Emily zur Welt kam, waren sie vor Freude außer sich. Oh, ich habe Sie angelogen, ich habe Philippa doch mal weinen sehen.
Kurz nach Emilys Geburt kam ich sie im Krankenhaus besuchen. Zu dem Zeitpunkt war ich mit Lara hochschwanger. Ich hasse Krankenhäuser. Sie auch? Sie erinnern mich immer ans Sterben. All diese deprimierend grünen Wände. Philippa saß im Bett und starrte auf das kleine Bündel in ihren Armen hinunter, als ich eintrat. Sie blickte hoch, und ich sah, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Eine ganze Flut von Tränen. Sie sagte: »Sie ist so schön. Sieh, wie schön sie ist! Meine kleine Tochter.« Da musste ich natürlich auch weinen, woraufhin Emily aufwachte und zu schreien anfing. Sie hat Emily so geliebt. Und deswegen verstehe ich auch nicht, warum –«
Sie brach abrupt ab.
»Was?«, fragte ich so taktvoll wie möglich.
»Oh, es hat wahrscheinlich gar nichts zu bedeuten.«
Ich schwieg, weil ich wusste, dass sie es kaum erwarten konnte, es mir zu erzählen.
»Manchmal glaube ich, dass sie eine Affäre hatte.«
»Mmm?«, murmelte ich.
»Ich weiß nicht, warum, und vielleicht sollte ich es auch gar nicht sagen, aber ich habe es einfach an ihrem Verhalten gespürt. Außerdem war sie tagsüber plötzlich nicht mehr so viel zu Hause. Ich glaube, Frauen haben einen Instinkt für so was. Ich käme nicht im Traum auf die Idee, das jemand anderem zu erzählen; wahrscheinlich stimmt es auch gar nicht, aber ich bin trotzdem sicher, dass da irgendwas in der Richtung am Laufen war.«
»Haben Sie eine Idee, mit wem sie eine Affäre gehabt haben könnte?«
»Nein. Da kämen eine Menge Kandidaten in Frage. Ich meine, sie ist sehr hübsch. War. Schlank und blond, die Glückliche. Viele Männer hätten die Chance genutzt.
Sogar Rick. Das meine ich jetzt natürlich nicht ernst, aber Sie wissen ja, wie Männer sind, nachdem ihre anfängliche Leidenschaft für ihre Ehefrau ein wenig nachgelassen hat.
Wenn sie sich erst mal häuslich eingerichtet haben, erscheint ihnen das Leben irgendwann ein bisschen langweilig. Das geht allen so, glaube ich, und Rick hatte sowieso immer eine leichte Schwäche für Philippa.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will damit auf keinen Fall sagen, dass er es war – mein Gott, ich bin sicher, dass ich das gemerkt
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