Das rote Zimmer
hätte, wofür hat man schließlich seinen weiblichen Instinkt? Außerdem hätte ich Rick umgebracht, wenn er so etwas getan hätte, und natürlich war Philippa meine beste Freundin …« Sie hielt inne und starrte mich bestürzt an, als hätte sie sich im Netz ihrer eigenen Worte verfangen. »Ich will damit nur sagen, dass es in ihrem Bekanntenkreis viele Männer gab, Ehemänner von Freundinnen, Männer, die sich in denselben Kreisen bewegten. Dabei habe ich niemand Bestimmten im Auge, ich bin bloß der Meinung, dass da in den letzten Wochen ihres Lebens irgendwas lief.«
»Irgendwas?«
»Hmm, vielleicht sollte ich besser sagen, irgendjemand.
Sie war oft nicht ganz bei der Sache und wirkte seltsam aufgeregt, fast schon geheimniskrämerisch. Ein paar Mal hat sie mich sogar versetzt, was früher nie passiert wäre, und kam dann mit irgendeiner komischen Ausrede an. Sie wirkte irgendwie nervös. Nicht ganz anwesend. Sie hatte sich in jemanden verliebt, da bin ich ganz sicher.«
Ich verließ Tess’ Haus eine halbe Stunde später, gegen Mittag, und fühlte mich völlig ausgelaugt. Zuvor hatte ich sowohl Philippas Mann als auch ihrer Mutter einen zweiten Besuch abgestattet. Jeremy war wieder in sein Haus zurückgekehrt, das ein wenig kleiner und neuer war als das von Pam Vere. Der lange, schmale Garten ging am Ende in einen Obstgarten über, und von einem der Apfelbäume hing eine Schaukel. Beide hatten sehr viel weniger bereitwillig über Philippa Auskunft gegeben als Tess. Dabei hatte ich nicht das Gefühl, dass sie mir etwas verheimlichten, eher, dass sie von Natur aus nicht so gesprächig waren. Jeremy wirkte nach wie vor durcheinander, von ohnmächtiger Trauer erfüllt. Philippas Mutter machte einen benommenen Eindruck.
Ich hatte zwei Nachrichten auf meinem Handy. Eine war von Poppy. Sie wollte wissen, warum ich mich schon so lange nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. Die andere von Will. »Bitte rufen Sie mich an«, war alles, was er sagte.
»Ja?«, bellte er ins Telefon, nachdem ich seine Nummer gewählt hatte.
»Hier spricht Kit.«
»Moment.« Ich hörte ihn irgendwelche Anweisungen geben.
»Kit? Können Sie heute Abend gegen sechs hier sein?«
»Warum?«
»Es kommen ein paar Leute, die sich mit Ihnen treffen möchten.«
»Leute, die Lianne kannten?«
»Warum würden sie sich sonst mit Ihnen treffen wollen?«
Ich setzte schon zu einer heftigen Entgegnung an, überlegte es mir aber rasch anders. »Ich denke, das schaffe ich.«
»Dann bis später.« Weg war er. Die meiste Zeit kam er mir vor, als hätte er einen Bienenschwarm im Kopf.
22. KAPITEL
Ich läutete an der Tür, und ein junger Mann mit Dreadlocks und einem tätowierten Marienkäfer auf dem Arm machte mir auf. Es handelte sich nicht um einen der Bewohner, wie ich zunächst dachte, sondern um einen freiwilligen Helfer, der sich als Greg vorstellte. Anders als bei meinem letzten Besuch herrschte diesmal hektische Betriebsamkeit. Eine Gruppe von Teenagern stand rauchend im Eingangsbereich. Durch eine offene Tür konnte ich in einen Spieleraum hineinsehen, in dem gerade lautstark Snooker gespielt wurde. Auch oben waren Stimmen zu hören. Greg führte mich durch die Eingangshalle und stieß Wills Bürotür auf, ohne anzuklopfen.
»Hallo«, begrüßte ich Will. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Danke.«
»Danken Sie denen, nicht mir. Sie warten in einem der oberen Räume auf Sie. Soll ich Sie raufbringen?«
»Wie viele sind es?«
»Fünf, glaube ich, es sei denn, es haben sich schon welche verkrümelt. Das ist durchaus möglich.«
Die Luft im Raum war stickig und verqualmt. Neben dem Flipperautomaten in der Ecke standen zwei Jungs, eingehüllt von einer Wolke aus Zigarettenrauch. Einer hatte einen völlig kahl geschorenen Kopf mit einer weißen Narbe, der andere war gedrungen und ziemlich haarig. Als ich den Raum betrat, blickten sie hoch, nahmen mich aber ansonsten nicht weiter zur Kenntnis. Die anderen drei waren Mädchen oder junge Frauen. Eine von ihnen saß auf einem Sessel, zwei auf dem Boden. Zu ihnen gehörte auch das auffallend hübsche Mädchen mit den dichten dunklen Augenbrauen und den unheimlich grünen Augen, das ich bei meinem ersten Treffen mit Will Pavic gesehen hatte.
Sie sah auf und runzelte leicht die Stirn.
»Hallo«, sagte ich und trat in ihre Mitte. »Ich bin Kit.«
Niemand sagte etwas. Ich gab ihnen nacheinander die Hand, wobei mir sofort klar wurde, dass das ein Fehler war, aber nachdem ich damit
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