Das sag ich dir
Alan vor, seit fünf Jahren sein Freund und außerdem sein Zukünftiger. Ihn wolle er heiraten, sobald dies gesetzlich erlaubt sei. Alan, der Ende vierzig war, trug ein ärmelloses T-Shirt und Shorts, weiße Söckchen und Sandalen. In der einen Hand hielt er die ganze Zeit ein Glas Wein und einen dünnen Joint. Er war muskulös und stellte dies zur Schau; er sah gut aus und verströmte eine verführerische Dekadenz, die darauf schließen ließ, dass er kaum eine Erfahrung verschmäht hatte. Ich erfuhr fast sofort, dass er Faschist gewesen war, U-Bahn-Fahrer, saufender Junkie und Drogendealer. Er hatte eine ganze Weile im Knast gesessen. Man hatte fast zwangsläufig den Eindruck, dass er aufgrund seiner Geschichte vor Normalbürgern wie uns auf der Hut war, die in einer geschwätzigen, verlogenen, die Gewalt verdrängenden Welt überlebten. Als er mir erzählte, wo er aufgewachsen war, erwiderte ich erfreut, dass ich als Kind ganz in der Nähe gewohnt habe. Miriam und ich waren früher immer mit dem Bus zur Ladywell-Badeanstalt gefahren und hatten dort den ganzen Tag verbracht.
»Und was machst du so?«, fragte er. »Bist du auch in der Politik?«
»Ich bin Therapeut.«
»Ich habe einen Therapeuten«, sagte er. »Einen Aromatherapeuten. Benutzt du Düfte?« »Nein.«
»Nicht einmal Kerzen mit Vanille-Aroma?«
Während ich darüber nachdachte, was Freud wohl von Kerzen mit Vanille-Aroma gehalten hätte, betrachtete mich Alan so skeptisch, als hätte er mir eben noch mehrere Leute zur Therapie empfehlen wollen, würde sich die Sache jetzt aber anders überlegen.
Wie er erzählte, hatte er Mustaq in einer Bar kennengelernt. Manchmal gingen sie immer noch um zehn Uhr abends zu Bett und standen um zwei Uhr wieder auf, um während der frühen Morgenstunden durch raue Schwulenbars zu ziehen. In einem Laden waren sie um vier Uhr morgens erschienen, nur um zu hören, dass es noch »zu früh« sei. Alan hatte sich an solchen Orten stets heimisch gefühlt, weil sich dort seine, wie er es ausdrückte, Schicksalsgenossen
aufhielten - die Richtungslosen, Verlorenen, Unerfüllten, Perversen. Auch Mustaq fühlte sich dort zu Hause.
Auf den ersten Blick hatte Alan keinen Grund, sich in der Welt seines Liebhabers fremd zu fühlen, doch wenn andere Freunde Mustaqs dazustießen, begann er unvermittelt mit Oberschichtakzent zu sprechen und klang so gequetscht, absurd und hochnäsig wie eine zugedröhnte Lady Bracknell. Mustaq war offenbar daran gewöhnt, und alle anderen gingen darüber hinweg, als wäre ihnen klar, dass man dieses Risiko beim Umgang mit dem Bodensatz der Gesellschaft in Kauf nehmen musste.
Mustaq wollte mich unbedingt noch einem »unserer Leute« vorstellen. Ich wusste nicht genau, wen er meinte, bis ich schließlich vor einem gedrungenen Asiaten im Prada-Anzug und mit Dauerlächeln stand. Es handelte sich um Omar Ali, den bekannten Besitzer von Waschsalons und Reinigungen, der sein florierendes Unternehmen in den neunziger Jahren verkauft hatte, um ins Mediengeschäft einzusteigen.
Abgesehen davon, dass Omar Ali ein energischer Vertreter der »antirassistischen« Industrie war, machte er inzwischen Fernsehen für, über und mit Minderheiten. Die »Pakis« hatten stets als sozial inakzeptabel, schlecht gekleidet, beängstigend religiös und verklemmt gegolten. Doch als Schwuler war Omar Ali pfiffig genug, um zu wissen, wie angesagt und hip Minderheiten - ja, Außenseiter aller Art - im Laufe ihres Aufstiegs in der sozialen Hierarchie durch das richtige Marketing werden konnten.
Nach Blairs Wahl im Jahr 1997 war Omar geadelt worden und trug nun den Titel Lord Ali von Lewisham. Das war der soziale Brennpunkt seiner Heimatstadt. Sein Vater, ein radikaler pakistanischer Journalist, der Bhuttos zahlreichen Kuhhandeln mit den Mullahs kritisch gegenübergestanden hatte - und, wie sich herausstellte, als Student in Indien mit meinem Vater befreundet gewesen war -, hatte sich dort in einer Bruchbude zu Tode gesoffen. Wie so oft in Familien, war Omar damals, in der Ära Thatchers, von einem Onkel gerettet worden. Angesichts der tödlichen Integrität seines Vaters hatte ihn dieser Onkel zum Leiter eines Waschsalons gemacht und ihm geraten, das Ghetto auf der Jagd nach Geld zu verlassen, weil dieses bekanntlich weder Hautfarbe noch Rasse kenne.
Omars lebenslange Vorliebe für Skinheads - Freunde aus der Kindheit, die ihn ständig drangsaliert hatten - erwies sich als nicht so problematisch, wie man hätte meinen
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