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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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sein. Jedenfalls war er nach einer halben Stunde wieder in der U-Bahn und sauste heim. Ich habe noch eine Weile geflennt...«
    »Ach, Karen ...«
    »Bereit für den goldenen Schuss, Mr De Mille. Dann bin ich auch heimgefahren und mit den Mädchen zu Bett gegangen. Oh, Jamal, denk nur an all die Nächte, die wir verplempert haben, weil wir keinen Sex miteinander hatten.«
    »Da gab es so einige«, sagte ich. »Aber ich habe jede Nacht mit dir genossen.«
    »Mit dem Alter bist du süßer geworden, Jamal. Wie schön, wieder mir dir zu quatschen. Warum rufst du mich nie an? Ach, vergiss es - heute denke ich positiv. Das ratet ihr uns doch, ihr Psychologen, oder?«
    »Nein.«
    »Und was ratet ihr uns stattdessen?« Nach einer Weile sagte sie. »Stimmt es, dass Henry auch kommt?«
    »Bist du jetzt etwa scharf auf Henry? Ihr könnt doch keine zwei Minuten miteinander verbringen, ohne euch zu fetzen.«
    »Schätzchen, warst du nie verzweifelt? Schließlich ist er ein Mann, jedenfalls unterhalb der Gürtellinie, und er ist noch zu haben.«
    »Zurzeit ist er belegt.«
    »Wer hat sich den alten Fuchs geschnappt?« »Meine Schwester.«
    »Will er sie nicht in dem Dokumentarfilm unterbringen?« »So ist es.«
    »Diese beschissenen Künstler mit ihren spontanen Ideen - wie ich sie hasse. Erinnere mich bitte daran, dass ich ihn erwürge, wenn ich ihm begegne«, sagte sie. »Kommt deine Schwester an diesem Wochenende auch?«
    »Am Samstag.«
    »Sind die beiden verliebt?«
    »O ja.«
    »Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass er lange auf dem freien Markt sein würde, aber na ja - so stirbt auch die letzte Hoffnung. Bist du noch Single?«
    »Nichts zu machen. Zurzeit rührt sich gar nichts bei mir.« Sie drehte sich zu mir um und musterte meinen Schritt. »Ja, scheint so.«
    »Ich ziehe so etwas im Moment nicht in Erwägung«, sagte ich. »Josephine war Knochenarbeit für mich. Manchmal vermisse ich es, verliebt zu sein - oder geliebt zu werden. Wäre schon ein echter Kick, hin und wieder für jemanden zu entbrennen.«
    »In Sachen Liebe bist du viel zu abgeklärt. Du durchschaust sie. Gerade dachte ich ... du hast mir einmal etwas gesagt. Dass du es hasst, dich zu verlieben, weil das so ähnlich sei, wie wenn du in ein Spundloch gezogen werden würdest. Du würdest die Kontrolle verlieren; es sei der Wahnsinn.«
    »Das habe ich gesagt?«
    »War das so mit Josephine?«
    »In einen elementaren Zustand der Bedürftigkeit gezogen zu werden, den anderen zu stark zu idealisieren, in eine Illusion abzugleiten und dann eines Tages aufzuwachen und sich zu fragen, wo man da hineingeraten ist? Ja ... Aber ...« Ich mochte es nicht sagen, weil ich Angst hatte, mein seelisches Gleichgewicht zu stören, aber ich hatte gern Familie gehabt, ich hatte es gemocht, Josephine und Rafi um mich zu wissen, ihre Stimmen im Haus zu hören, ihre im Flur herumliegenden Schuhe zu sehen.
    Ich war Josephine bei einem Vortrag begegnet, den ich gehalten hatte: Die Kunst des Vergessens. Sie studierte Psychologie, war aber gelangweilt von dem »Ratten-auf-Medikation«-Ansatz. Als sie schwanger wurde, waren wir erst wenige Monate zusammen. Mein Vater war ungefähr anderthalb Jahre zuvor gestorben, und ich wollte ihn unbedingt durch einen neuen Vater ersetzen - mich selbst. Ich lebte in der Wohnung, in die auch meine Patienten kamen, und verdiente langsam ausreichend Geld. Josephine hatte ihre eigene Wohnung, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und wir kauften uns ein kleines Haus in der Nähe meiner späteren Praxis. Wir waren noch gar nicht lange zusammen, aber ich verlor sie fast sofort an einen anderen Mann, meinen Sohn. Besser gesagt: Wir verloren uns beide an ihn, und wir gaben uns keine Mühe, einander wiederzufinden. Natürlich bedürfen viele Beziehungen eines »dritten Objekts«, um das man sich kümmert, ob Kind, Haus oder Katze, irgendein gemeinsames Projekt. Das war Rafi, aber er war auch ein Keil. Josephine fand sich sofort in die Mutterrolle hinein, denn eine Frau zu sein war viel schwieriger. Sie wartete ungeheuer lange, bis sie endlich zu ergründen begann, was das bedeutete.
    Ich küsste Rafi ständig, als er klein war, leckte seinen Bauch und steckte ihm die Zunge ins Ohr, kitzelte ihn, drückte ihn, bis er kaum noch Luft bekam, lachte über seinen spuckeverschmierten Mund und sein Lätzchen, das wie eine elisabethanische Halskrause aussah. Genau wie bei meinen diversen Frauen liebte ich die körperliche Nähe, den nassen Mund und den Duft der

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