Das sag ich dir
Haare des Jungen. Die Brüste seiner Mutter nannte er »Bauklötze«. »Was ist Denken?«, fragte er. »Warum haben Menschen eine Nase?«
Im Alter von sechs Jahren wachte Rafi früh auf, genau wie ich, während seine Mutter noch schlief. Ich saß meist unten am Tisch und machte mir Notizen zu meinen Patienten oder feilte an einem Vortrag oder Aufsatz. Rafi lieh mir seine besten Stifte, damit ich ordentlicher schrieb, wie er es nannte. Dann setzte er sich zu mir - oft auf meinen Schoß oder auf den Tisch - und hörte mit Kopfhörern, die nicht nur seine Ohren, sondern die ganzen Wangen bedeckten, Musik auf meinem CD-Spieler. Er mochte Händel, und wenn ihn eine Melodie mitriss, sagte er: »Daddy, ich habe das Gefühl, als würden Leute in meinem Bauch tanzen.«
Bei Gap kauften wir zwei Mäntel im Partnerlook, grün und mit pelzgesäumter Kapuze, zu denen wir Sonnenbrille und Sneakers trugen. Ich nannte uns Big Me und Pigmy und fand, dass wir super aussahen. Als Rafi kleiner war, schob ich ihn in seinem Buggy im Eiltempo meilenweit durch London und hielt unterwegs an Coffee-Shops, um ihn zu füttern und frisch zu wickeln. Wenn man ein Baby dabeihat, kommt man schnell mit Frauen ins Gespräch. Man fühlt sich wie der Begleiter eines Stars. Er wurde von Fremden begrüßt und ständig beschenkt; Frauen fütterten ihn, redeten mit ihm, schlugen sich um ihn wie Rugbyspieler um den Ball, und wenn sie ihn wieder bei mir ablieferten, roch er nach all ihren Parfümen auf einmal, hatte wirre Haare und Stielaugen, und sein Gesicht war mit Keksmatsch verkleistert.
Ich spielte gern Monopoly und mochte es, wenn Stifte, Spielzeug, Videos und Fußbälle auf dem Boden herumlagen. Sandwichs mit Fischstäbchen aß ich für mein Leben gern, und ich fand es toll, wenn der Junge abends zu uns ins Bett kroch, weil er »niemanden zum Quatschen« hatte, heiße Schokolade aus seinem Fläschchen trank und nur innehielt, um zu sagen: »Ich möchte euch mit Küssen bedecken.« Ich mochte es, wenn er beim Einschlafen mein Ohr hielt, ja, ich ließ mich sogar während meines Nickerchens von der Katze begrabbeln. Ich las ihm gern etwas vor, wenn er in der Badewanne saß und mit den Plastikfiguren plapperte, die über seinem Kopf an der Wäscheleine hingen. Rafi war ein Wunschapparat, und das Einkaufen war sein Lieblingshobby. Wenn er in der Schule nach seinem liebsten Buch gefragt wurde, nannte er den Argos-Versandkatalog, über dem er stundenlang brütete und alles ankreuzte, was er haben wollte. Zum Glück begeisterte ich mich ebenfalls für alles, was mit Spiderman, dem Unglaublichen Hulk, den Power Rangers und dem König der Löwen zu tun hatte. Ich spielte gern auf der Straße Fußball mit ihm und hörte zu, wenn er auf der Mundharmonika Beethovens Neunte intonierte. Ich rang gern mit ihm, spielte Fangen und Armdrücken und hielt ihn an den Fußknöcheln in die Höhe, manchmal über der Kloschüssel. Von vielem anderen abgesehen, standen wir auf Witze, Flüche und darauf, Frauen auf den Po zu klatschen.
Wir vertrödelten ganze Wochenenden, aßen Pizza und gingen in den Acton Baths Schwimmen, kickten einen Ball durch die Gegend und schauten Star Wars oder Indiana Jones. Wenn man sich an solchen Tagen abends die Frage stellte, ob man irgendetwas erlebt hatte - eine Weile führte ich Tagebuch darüber -, konnte man nur sagen: »Nein, nichts.« Außer, dass wir gegenseitig unsere Gesellschaft genossen hatten, ohne die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen.
Als all dies ein Ende nahm, weil ich gehen musste - und ich weiß immer noch nicht, ob es der richtige Schritt war -, kam mir der Verlust unermesslich groß vor. Mir blieb nur übrig, mich so gut wie möglich weiter durchs Leben zu wursteln, Rafi täglich zu sehen und darüber nachzugrübeln, wie sehr ich ihn vermisste. »Bist du jetzt der Daddy eines anderen Jungen?«, fragte er.
»Von mir bekommst du kein Mitleid«, sagte Karen, »obwohl die Versuchung recht groß ist. Ein so erfolgreicher und gut vernetzter Mann wie du findet bestimmt wieder jemanden - wahrscheinlich eine junge Frau. Ich aber nicht. Wollen wir es nicht noch einmal miteinander versuchen? Nur für ein Weilchen?« Darauf konnte ich nur lachen. »Ich wette, du verschweigst deinen Patienten, dass du dein Geld früher mit dem Schreiben von Pornos verdient hast. Ich kenne deine Geheimnisse, und ich liebe dich immer noch ein bisschen«, sagte sie. »Als wir zusammen waren, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass du mich
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