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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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in die Extrembereiche der Exzentrizität war sie intelligenter, flinker und lustiger gewesen als ich, hatte bei schwierigen Themen die raschere Auffassungsgabe gezeigt und sich als weit weniger nervös und scheu erwiesen. Sie hielt es für Zeitverschwendung, dass ich so viel las. Was bedeutete ein Buch schon im Vergleich mit echter Erfahrung? Mum und ich saßen zu Hause und lasen, doch Miriam, unserem Vater ähnlicher, war immer mit anderen zusammen, quasselte, trat Leuten auf die Zehen und führte wilde Dramen auf.
    Derzeit dachte sie allerdings über wenig nach, das neu oder nicht alltagsgebunden war. Sie war ausgelaugt. Am liebsten hätte ich ihr vorgeschlagen, eine Reise zu unternehmen, an das Meer oder nach Venedig, an einen Ort, wo wir reden, ausspannen und die Batterien wieder auffüllen konnten, aber ich war auch erschöpft - die Trennung belastete mich, es war so ungeheuer anstrengend zu hassen! -, und im Grunde hatte ich keine Kraft für eine Reise.
    Nachdem ich den Dal aufgegessen hatte, bat ich Miriam, Rafi zu rufen. Beim Klang ihrer Stimme sprang er immer auf wie von der Tarantel gestochen. Sobald er unten war, begann er zu quengeln, weil er über Nacht bleiben wollte. Nachts machten die Kinder oft wilden Radau, und wenn es ruhig war, konnte man ziemlich sicher sein, dass sie Dumb and Dumber oder, um vier Uhr früh, Blade 2 schauten. Rafis Leben, das sich bei seiner Mutter und mir abspielte, war viel zu geordnet, aber ich konnte ihn zur Frühstückszeit nicht bei Miriam abholen. Mein erster Patient kam um sieben Uhr, und mir fehlte die Zeit, um seine Schultasche zu packen, ihm ein Pausenbrot zu schmieren und seine Fußballsachen zusammenzusuchen.
    Bevor wir aufbrachen, fiel mir ein, dass ich Miriam ja um Dope bitten wollte.
    »Einer meiner Freunde braucht es«, sagte ich. »Ich verrate dir allerdings nicht, um wen es sich handelt.«
    »Also Henry. Gut, wenn er es ist, muss ich wohl aufstehen«, sagte sie und ließ das Zeug, das sie auf dem Tisch in einem Schuhkarton aufbewahrte, links liegen. »Das hier erspare ich dir. Da wäre es besser, wenn du dir Hefeextrakt in den Joint stopfst.«
    Als sie aufstand und sich beim Umhergehen auf die Möbel stützte, fiel mir auf, wie schwer sie geworden war, und sie nahm immer noch zu.
    Während sie in diversen Schubladen und Beuteln kramte, prüfend schnüffelte und drückte und nach dem inzwischen abgezwitscherten Fahrer rief: »Bushy, Bushy! Wo ist denn das gute Kraut?«, erzählte ich ihr, dass Henry eine Produktion von Ibsens Geister ins Auge gefasst habe. Vor vielen Jahren hatte ich Miriam in eine Aufführung kurzer Stücke von Beckett mitgenommen, die Henry gemeinsam mit Studenten inszeniert hatte. Diese zum Semesterabschluss aufgeführten Stücke mit angehenden Schauspielern, die Henry alle paar Jahre auf die Bühne
    brachte, waren hoch angesehen, und im Publikum saßen sehr viele andere Regisseure, Autoren und sogar Kritiker. Die damalige Aufführung schien Miriam beeindruckt zu haben, jedenfalls glaubte ich das, denn sie war verstummt. »Was hat Henry denn für einen Job?«, fragte sie am Ende. »Kann man noch mehr Stücke von diesem traurigen Beckett sehen?«
    »Okay?« Nachdem sie kapiert hatte, dass Bushy in das Cross Keys verschwunden war, hielt sie nun ein Stück Hasch von der Größe eines Würfels hoch. »Warum will dein Freund das Zeug?«
    »Offenbar hat Henry auf seine alten Tage die Ausschweifung entdeckt«, antwortete ich. »Er trinkt auch mehr als früher. Wein hat er immer gemocht, aber jetzt geht es ihm um den Affekt.«
    »Darf es noch etwas sein?«, fragte sie.
    »Woran denkst du?«
    »Will er vielleicht Pornos?« Sie musste kichern. »Weißt du noch, wie du mal in der Branche gearbeitet hast?«
    »Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich wünschte, ich hätte dir nie davon erzählt.«
    »Erzählst du mir denn nicht alles?«
    »Ich versuche, manches für mich zu behalten.«
    »Aber du hast nicht die Drehbücher geschrieben, oder?«
    »Nein, die Drehbücher nicht«, antwortete ich.
    »Damit hättest du richtig Kohle gemacht. Und du hast auch nicht in Pornos mitgespielt?«
    »In Gottes Namen, Miriam, wie würde ich mich wohl als Schauspieler machen, vor allem ohne Hose?«
    »Erzählst du deinen Patienten von deiner anrüchigen Vergangenheit?«
    »Die bleibt außen vor. Für meine Patienten muss ich eine leere Leinwand sein. Und was Henry betrifft«, fuhr ich fort, »er behauptet, zu alt für Sex zu sein, und meint, sein Körper gleiche einer

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