Das sag ich dir
jeder Sitzung hast du dir stundenlang Notizen gemacht. Hast du nie kapiert, dass die Analyse einen weder netter noch fröhlicher, noch klüger macht? Sie führt bloß zur Selbstbesessenheit. Sie benutzen diese ätzenden Begriffe wie Unbewusstes oder Übertragung. Glaubst du etwa, dass ich Lust hatte, etwas über deine Träume oder deine Mutter oder Schwester zu hören, als wir mitten in der Katastrophe gesteckt haben? Bist du nie darauf gekommen?«
»Es war meine Berufung und hat mich mehr interessiert als alles andere.«
»Ich sage das wirklich ungern, Jamal, aber du bist intelligent, und du hast nichts damit erreicht, außer diese Worthülsen zu lernen, die niemandem etwas nützen.«
»Scheiße, du bist wirklich schlecht drauf.«
»Ja, bin ich.«
»Dich werde ich heute Nacht ganz bestimmt nicht ficken.«
»Du Mistkerl, es wird die kleine Inderin sein, oder? Warum musst du so grausam sein, Jamal? Dass wir wegen dir feuchte Slips bekommen ist dir egal, oder?«
Wir entdeckten Lord Omar im Hinterzimmer eines Pubs, wo er ohne Jacke und Schuhe und mit halb offenem Hemd quer auf mehreren Stühlen lag und »Hof hielt«. Diese königliche Haltung verdankte sich nicht nur der Anziehungskraft seiner Persönlichkeit oder der Neugier der Armen darauf, wie der Lord die Lage der Arbeiterklasse zu verbessern gedachte, sondern vor allem der Tatsache, dass er im Pub eine Runde nach der anderen schmiss.
»Ach, du heilige Scheiße!«, sagte Alan, als wir ihn erblickten. Die Augen des Lords glichen, wie er es poetisch formulierte, »zwei Teichen aus tintigem Sperma«.
Wie Omar soeben den versammelten Säufern erklärte, von denen viele schon mehr oder weniger komatös am Boden lagen, sei er der Königin dreimal begegnet und habe einmal in ihrer Kutsche gesessen. Sie sei beunruhigt gewesen, weil die Labour-Regierung sowohl das Schießen als auch das Jagen verbieten wollte. »Am nächsten Tag hatten wir dann ein paar wunderschöne Abschüsse«, berichtete er schwärmerisch. Lord Omar wiederholte dies mehrmals und immer lauter, bis es nicht nur pornographisch, sondern nach einer Straftat klang.
Alan wollte ihn hinausschaffen, bevor er noch etwas sagte, das in News of the Week auftauchen oder die breitere Öffentlichkeit mit Informationen über ihre Wochenenden versorgen konnte, doch Omar weigerte sich. Er hatte noch keinen körperlichen Kontakt gehabt. Alan sprach mit einem der Kids und kehrte mit brauchbarem Hasch zurück, und während der sturzbetrunkene Lord in der Toilette befriedigt wurde, spielten Alan und Karen Billard.
Ich saß an der Bar und trank Wodka. Der Wirt wusste, dass wir Freunde von George waren, und er ließ mich wissen, was für verwöhnte, privilegierte Ratten wir »da oben in dem großen Schuppen« seien, verglichen mit dem Rest der Leute hier. »Was wir brauchen«, verkündete er, als wäre noch nie jemand darauf gekommen, »ist eine Revolution. Da, schauen Sie nur«, sagte er und zeigte auf Lord Omar, der mit nassen Knien und einem bleichen Kid aus der Toilette kam, wobei er vor sich hin murmelte: »Prachtvolle Burschen, ja, wirklich prachtvolle Burschen ...«
»Ein paar Leute von hier arbeiten manchmal da oben«, fuhr der Wirt fort. »Wir wissen, wie man reinkommt. Und eines Tages werden wir uns zusammenrotten, die Bude stürmen und dem Erdboden gleichmachen und euch Ärsche abfackeln!«
»Hervorragende Idee«, erwiderte ich. »Bedauerlicherweise seid ihr allerdings viel zu abgefüllt, um so etwas auf die Reihe zu bekommen.«
»Raus aus meinem Pub! Wie können Sie es wagen?«, sagte er. »Abgefüllt? Wer? Sie haben lebenslanges Hausverbot!«
Ich hatte die anderen herbeigerufen und stieg schon über eine Schnapsleiche in Richtung Tür. Lord Omar wurde von Karen und Alan mitgeschleppt, sang dabei Land of Hope and Glory und brüllte: »Meine allerliebsten Untertanen, ich danke euch von Herzen für diesen wunderschönen Abschuss! Es geht doch nichts über einen wunderschönen Abschuss!«
Der Wirt schäumte vor Wut und drohte mit der Polizei.
Karen quetschte Alan und den Lord in ihr Auto; ich raste mit dem Wagen von Omar über die schmalen Straßen.
Im Haus unterhielten sich die Leute im Wohnzimmer. Doch die meisten befanden sich im von Alan so genannten »Brian-Jones-Pool«. Wie andere reiche Leute hatte auch Mustaq Fotografien und Gemälde erworben. Der Flur zwischen Umkleidekabinen und Pool war mit recht ansehnlichen Fotos dekoriert, unter anderem mit dem einer Frau, die im Stehen gegen eine
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