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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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wir in der Schule taten.« Er beugte sich zu mir hin. »Ich hatte eine Wodu-Puppe von Vater, in die ich kleine Nägel geschlagen habe. Ich war der festen Überzeugung, ihn getötet zu haben!«
    »Du wolltest dir die Sache auf deine Fahne schreiben.«
    »Wenn er heute noch am Leben wäre, würde er alles an mir verachten. Eigentlich müsste ich froh darüber sein, dass er tot ist - aber das ist schwierig ...«
    »Weißt du noch«, fragte ich, »wie du mir vorgeschlagen hast, wir sollten gemeinsam abhauen?«
    »Oh, Jamal, das ist mir saupeinlich!«
    »Warum hauen wir nicht ab?«, fragte mich Mustaq, als ich das nächste Mal zu Besuch war. Beim letzten Mal hatten wir miteinander gerungen; dieses Mal behauptete er, mir in seinem Schlafzimmer nur schnell etwas zeigen zu wollen. Und was?, fragte ich. Meinen Haarschnitt, antwortete er. David Jones wäre stolz auf dich, sagte ich. Er stand dicht neben mir, denn das mochte er, und er berührte meinen Arm, ja, er rieb sich fast daran. »Ich weiß, wo mein Vater sein Geld aufbewahrt. Er hat ein fettes Bündel Scheine in einem Umschlag unter seinen Socken liegen.«
    »Wozu?«
    »Er sagt oft, dass wir eines Tages vielleicht wieder Hals über Kopf verschwinden müssen. Weil uns die Rassisten an den Kragen gehen wollen.«
    »Und nun bist du es, der Hals über Kopf verschwinden will? Warum?« »Hier ist es nicht besonders gut, oder?«
    Das sagte er so traurig, dass ich ihn am liebsten geküsst hätte, aber ich hatte Angst, dass er mich küssen könnte. »Warum mit mir?«
    »Du bist der aufregendste Mensch, dem ich je begegnet bin.« Das verblüffte mich. »Pass auf«, erwiderte ich, »ich habe da etwas für dich.«
    Ich ging zu meiner College-Tasche. Außer den Philosophie-Wälzern hatte ich Musikzeitschriften, ein paar Romane und die Anthologie der Beat-Poeten dabei. Ich gab ihm die Bücher.
    »Nahrung für dein Gehirn, Mann«, sagte ich. »Ich weiß, dass du schon Musik hast, aber ich bringe dir morgen noch mehr Bücher und Zeitschriften. Weißt du, was du später einmal werden willst?«
    »Modedesigner«, antwortete er. »Aber nicht weitersagen.«
    »Wem? Deiner Schwester?«
    »Sie weiß es schon.«
    »Also deinem Vater. Ich glaube, ich werde es ihm verraten.«
    Ich tat so, als wollte ich gehen. Er hielt mich fest. »Nein, lass das. Bitte behalt es für dich! Ich tue auch alles, was du willst...«
    »War nur ein Scherz«, sagte ich. »Warum hast du so viel Angst vor ihm? Tut er dir weh?«
    Im Laufe der folgenden Wochen brachte ich Mustaq einen Haufen Zeug. Er las so schnell und dankbar, dass ich schon bald mein Schlafzimmer nach Büchern durchforstete, die ich in London gekauft hatte. So hatte ich zumindest einen Grund, Ajita zu besuchen und mich in ihrem Haus aufzuhalten, doch allmählich verstand ich, dass es Spaß
    machte, anderen zu helfen, denn Mustaq freute sich unbändig über alles, was ich ihm mitbrachte.
    »Jamal«, sagte er nun, »ich habe eine ungeheure Wut auf Papa. Er hat etwas Unverzeihliches getan und versucht, dich mit einer Armbanduhr zu bestechen! Aber«, fuhr er fort, »ich bin nicht unschuldig. Auch ich habe gesündigt. Daran werde ich denken, wenn ich ihn am liebsten ins Gesicht schlagen würde.«
    »Was hast du angestellt?«
    Mustaq näherte sich dem Höhepunkt seiner Vorstellung als Drama-Queen, und als er sich zwanghaft Augen und Stirn rieb, wirkte er sowohl amüsiert als auch wie erstarrt vor Selbstmitleid. Seine Stimme wurde zum drängenden Flüstern: »In der Nacht, als Papa ermordet wurde, hatte ich zum ersten Mal Sex. Eine meiner Cousinen, die nebenan schlief, kam in mein Zimmer, um mich in die Sache einzuweihen. Ihrer Meinung nach war es höchste Zeit, dass ich eine Möse sah, und ich war natürlich neugierig. Aber der Anblick bewirkte gar nichts bei mir. Es war ungefähr so, als wollte man eine Nacktschnecke in den Münzschlitz eines Spielautomaten quetschen. Ich hatte natürlich Schuldgefühle. Warum musste das ausgerechnet in jener Nacht passieren?
    Ajita und ich hatten abends noch überlegt, nach Hause zu fahren. Aber sie war zu müde. Wenn wir heimgekehrt wären, hätten wir die Mörder auf frischer Tat ertappt. Wir hätten Dad retten können. Ja, wir wären vielleicht sogar ermordet worden.
    Ausgerechnet an dem Abend habe ich meine Jungfräulichkeit verloren - wenn auch nicht wirklich. Ich war noch nie für jemanden Feuer und Flamme gewesen, außer für dich. Das passierte erst später, als wir in Indien waren, und dann trug sich diese ganz

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