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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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will in eine richtige Mannschaft. Du kannst mich gern hinfahren, aber du wirst nur zugucken.« Er fügte mit amerikanischem Akzent hinzu: »Du Saftsack, bereust du deine Taten, und wirst du je im Leben dafür büßen?«
    Während er in seinen Fußballstrümpfen vor der Tür stand, die schlammigen Stiefel gegen die Wand knallte und es kaum erwarten konnte, seiner Mutter von dem Volleyschuss und seinem Tor zu berichten, beschloss ich, das Haus zu betreten, wenn Josephine mich nicht stoppte, denn ich wollte wissen, ob es ihr irgendwie schlecht ging.
    Manchmal fragte ich mich, ob ich meine Abneigung gegen sie irgendwie überwinden könnte, obwohl mich diese Vorstellung nicht unbedingt in helle Begeisterung versetzte. Meist dachte ich, dass wir ohne den Jungen nichts mehr miteinander zu tun haben müssten. Natürlich hasste ich mich dafür, ihn wegzuwünschen, und fragte mich zugleich, wer ich geworden wäre und welche Fehler ich begangen hätte, wenn er nicht geboren worden wäre.
    Ich betrat den Flur und folgte ihr die Treppe hinab in den Keller. Sie drehte sich nach mir um, schwieg aber.
    Josephine und ich hatten uns am Telefon über seine Erziehung gestritten, was mich, wie ich gestehen muss, ziemlich aufgeregt hatte. Er war bei zwei Schulen durch die Aufnahmeprüfung gerasselt; es handelte sich um äußerst akademische Institutionen, und laut Josephine sahen die Kinder dort bleich und gestresst aus. Ich teilte zwar ihre Meinung, dass diese Schulen teure Maschinen seien, die geklonte Dronen smarter weißer Jungen produzierten, aber ich hatte Rafi trotzdem verflucht. Josephine wies darauf hin, dass ich selbst keine solche Schule besucht und mich sogar geweigert hatte, eine zu betreten. Sie behauptete auch, dass ich ein Snob sei: Ich kannte viele Eltern, deren Kinder diese Schulen besucht hatten, und fand es unfassbar, dass mein Sohn nicht mühelos durch ihre Tore spaziert war. Offenbar spuckte Rafi wegen meines Konkurrenzdenkens zu Hause Gift und Galle. Er hatte seine Mutter an den Haaren gezogen und alles in Frage gestellt.
    Josephine wies mit Recht darauf hin, dass es hier weniger um mein Selbstwertgefühl als um Rafis Zukunft ging, und sie fügte hinzu, dass ich mich offenbar in einen Vater verwandelt habe, der zwar nicht mehr da sei, aber trotzdem eine tolle und erfolgreiche Familie haben wolle. Ich für meinen Teil hatte auf weitere Vorwürfe verzichtet, nachdem ich Rafi ziemlich aggressiv gefragt hatte: »Bist du in irgendetwas Klassenbester?« Er hatte kurz nachgedacht und dann geantwortet: »Ich sehe am besten aus.«
    Als Kind hatte er immer verlangt, dass das Essen auf seinem Teller fein säuberlich voneinander getrennt war. Die Bohnen durften nicht die Kartoffeln berühren, die Kartoffeln nicht die Fischstäbchen. Nun merkte ich, wie sehr er sich freute, dass seine Mutter und ich wieder in einem Zimmer waren, und er behielt uns genau im Auge, um auch ja mitzubekommen, was geschah - gab es vielleicht die Möglichkeit einer neuerlichen Eheschließung?
    Ich setzte mich an den Esszimmertisch, und Josephine brachte mir Tee. Als sie sich setzen wollte, stellte ich fest, dass Rafi ihren Stuhl herangezogen hatte, damit wir dicht nebeneinander saßen. Er quiekte und gestikulierte so kindisch, als wollte er wieder zu einem Baby werden und uns dadurch an die Zeit erinnern, als wir noch eine Familie gewesen waren.
    Josephine war eine Frau, die wenig sprach. Sie kannte weder Smalltalk noch große Worte. Da ich mit dem Schweigen zufrieden war, hätten wir ebenso gut Statuen sein können.
    Ihr Vater, der Missbraucher: betrunken, durchgeknallt und beim Versuch überfahren, eine Autobahn zu überqueren; irgendein armer Kerl musste mit der Erinnerung an diesen Verrückten leben, der plötzlich vor seinem Auto aufgetaucht war. Und seine Tochter, lebenslang versteinert und von einer rasenden Angst erfüllt, als würde immerfort ein Wagen auf sie zurasen.
    Josephine, allein mit ihrer exhibitionistischen Mutter, war gern still und anonym und hasste dies zugleich an sich. Sie konnte offenbar nicht von der fixen Idee lassen, dass man die Braven immer am meisten belohnte. Viele meiner Freunde vergaßen ihren Namen, genau wie ihre Therapeuten, und sie brach beide Therapien voller Zorn kurz nach deren Beginn wieder ab. Daher war es wohl unvermeidlich, dass sie sich über jemanden wie Miriam aufregte, die sie als »aufmerksamkeitsgeil« bezeichnete. Ich wies sie gern darauf hin, dass sie genau daran merken könne, wie viel Konkurrenz es

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