Das sag ich dir
ausgelaugt wirkende Ajita hatte ich noch nie gesehen. Wann die Bediensteten mich nach oben trugen, kann ich nicht mehr sagen. Allem Anschein nach waren sie die ganze Nacht mit irgendwelchen Partyleichen beschäftigt. Aber ich konnte nicht einmal mehr mein Feuerzeug heben, das weiß ich noch.
»Das war die totale Katastrophe«, sagte Mustaq lachend am nächsten Tag.
Ich weiß allerdings noch, dass ich eine Stunde, nachdem ich ins Koma gefallen war, wieder aufstand, weil ich pinkeln musste, und als ich an Karens Tür vorbeikam, sah ich sie beim Sex mit Karim. Auf jeden Fall hielt ich die Frau für Karen, und der Mann hätte Karim sein können. Am Fußende des Bettes schlief jemand auf dem Fußboden, oder vielleicht schlief die betreffende Person auch gar nicht, denn in einer anderen Ecke des Zimmers erklang ein Stöhnen.
Ich stand kurz da, duschte mich dann rasch, putzte mir die Zähne, wusch mir das Blut aus der Nase und ging auch in das Zimmer, wobei ich mitten zwischen die Körper stolperte. Ich weiß noch, dass ich nackt an einer Wand saß, rauchte und mich mit Karim über Südlondon unterhielt. Wie er mir erzählte, hatte das Three Tuns in der Beckenham Highstreet jetzt zwar eine Plakette für Bowie, aber keine für Chalie Hero. Charlie fiel derweil über irgendjemanden her, vielleicht über eine der Bedienungen aus der Stadt. Ich erinnere mich sogar noch mit einer gewissen Dankbarkeit daran, dass Charlie von hinten meinen Rücken streichelte, als ich an der Reihe war, obwohl ich gestehen muss, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn er nicht gesagt hätte: »Na, los, alter Knabe, ran an den Speck.«
Als Karen und ich am nächsten Tag nach London aufbrachen, stand Ajita auf dem Hof und winkte uns. Sie wollte noch ein paar Tage auf dem Land bleiben, bevor sie nach London zu Mustaqs Haus fuhr.
Karen saß schon im Auto, als Ajita und ich uns umarmten und versprachen, später zu telefonieren. Dann küsste sie mich auf den Mund; ich spürte, dass ihre Zunge auf mich wartete. Sie kniff und kitzelte mich wie früher.
»Warum lachst du?«
»Du«, sagte sie. »Das kann nicht nur ein Kater sein. Du siehst aus, als hättest du einen Geist erblickt. Und so war es wohl auch.«
Karen ließ ärgerlich den Motor aufheulen und trommelte auf das Lenkrad.
Sobald ich eingestiegen war, sagte sie: »Immerhin besitzt du den Anstand, mit mir zu fahren.« »Was?«
»Ich weiß, wie gerissen du bist. Ich schlafe immer mit offener Tür, und schon in der ersten Nacht habe ich gesehen, wie diese Frau aus deinem Zimmer gepirscht ist. Das ging ja ratzfatz. An diesem Wochenende hattest du offenbar alle Hände voll zu tun.«
»Du bist doch verrückt, Karen.«
»Du hast all die Jahre auf sie gewartet, und jetzt magst du sie nicht mehr?«
»Man kann nicht mehr zurückkehren.«
»Warum gehst du nicht einfach voran?«
»Ich wünschte, wir müssten dieses Haus nicht verlassen.«
»Bist du ausgeschlafen?«
»Ausgeschlafen?«, fragte ich. »Ich bin zerstört.« »Ausgezeichnet.«
Ich bat sie, mir nichts von der letzten Nacht zu erzählen, denn ich wollte sie vergessen. Sie schwor mir, ihre Lippen seien versiegelt, was ungewöhnlich für sie war, doch sie kicherte kurz. »Impotent, wie?«
Die meiste Zeit machte sie sich allerdings Gedanken über Karim sowie darum, ob er sich bei ihr melden würde. Wenn er in Ich bin berühmt... auftreten würde, wäre er bei zig anderen Frauen gefragt, und bis dahin wollte sie noch so viel wie möglich von ihm haben.
Ganz egal, wie sehr man das Land verabscheut - wenn man nach einem Wochenendausflug an einem Sonntagabend in die Stadt zurückkehrt, sinkt einem das Herz. Überall Dreck und Grobheit, und alles sitzt einem dicht auf der Pelle. Das sind Momente, in denen man sich fast vorstellen könnte, London für immer den Rücken zu kehren.
SECHSUNDZWANZIG
An einem Sonntagmorgen kann man den überwiegenden Teil der britischen Bevölkerung, Teenager ausgenommen, im Park finden, wo die Leute Spazierengehen, joggen oder ihren Hund ausführen. Am Sonntag spielten Rafi und ich immer Fußball mit den anderen Vätern -Schauspieler, Filmregisseure, Autoren - und ihren Söhnen im Alter zwischen fünf und zwölf. Die jeweiligen Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen saßen auf Bänken neben der Auslinie, tranken Caffe Latte, kümmerten sich um ihre Mädchen und halfen den Jungen mit den Stiefeln und Schnürbändern.
Die Väter mochten sich nicht blamieren, indem sie sich zu zünftig anzogen, aber die Kinder kamen
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